Thriller aus der „Welt des kommerziellen Feminismus“

Der erste Satz
Die Kälte kroch zunächst in die äusseren Körperteile, liess die wasserhaltigen Zellen gefrieren und arbeitete sich Millimeter für Millimeter weiter ins Innere vor.

Krimi der Woche ∙ N° 26/2021 ∙ Hanspeter Eggenberger

Nach einem schwierigen Jahr kehrt die junge Journalistin Katie nach New York zurück. Im Mittleren Westen hat sie sich um ihre kranke Mutter gekümmert und für ein Buch über Fake News recherchiert. Aus persönlichen Gründen verfolgt sie das Buchprojekt nicht weiter. In New York bewirbt sie sich um eine Mitgliedschaft bei „The Herd“, einem exklusiven Co-Working-Space nur für Frauen. Eleanor, die ebenso charismatische wie erfolgreiche Betreiberin, ist eine alte Bekannte und die beste Freundin von Katies Schwester Hana, die für „The Herd“ die Pressearbeit macht. Zum engen Freundinnenkreis gehört zudem die Designerin Mikki. Jetzt steht eine wichtige und mit viel Geld verbundene Ankündigung von „The Herd“ bevor. Doch am Tag der Pressekonferenz ist Eleanor verschwunden.

Mit leichter Hand baut Andrea Bartz am Anfang ihres zweiten Thrillers „Perfect Woman“ eine strahlende It-Women-Welt auf, die ein wenig wie aus einer TV-Serie wie „Sex and the City“ wirkt. Doch mit dem Verschwinden von Teleanor, wie die auftrittssichere „Herd“-Inhaberin auch genannt wird, bekommen die glatten Fassaden feine Risse, die zunehmend tiefer gehen. Offenbar gibt es ein dunkles Geheimnis zwischen den Freundinnen Eleanor, Hana und Mikki. Und es fragt sich, wie weit die vorgeblich enge Freundschaft geht, denn offenbar verfolgt jede heimlich auch eigene Projekte. Auch Katie, bei der die aktuellen Ereignisse den journalistischen Ehrgeiz schüren.

Hat sich Eleanor tatsächlich, wie es scheint, nach Mexiko abgesetzt? Und wenn, wieso? Oder wurde sie das Opfer eines aggressiven Männerklüngels, der sich „The Herd“ als Zielscheibe auserkoren hat? Der spannende Plot nimmt ein paar scharfe Wendungen und endet unerwartet. Erzählt wird das Ganze aus der Perspektive der Schwestern Katie und Hana, die abwechselnd als Icherzählerinnen auftreten.

Der Thriller wird in den besten Momenten ein bisschen zu einer Satire auf „die kleine aber einflussreiche Welt des kommerziellen Feminismus“. Doch es geht immer auch um Sexismus und die alltägliche Diskriminierung von Frauen in der Arbeitswelt. Darum, „wie beschissen Frauen in unserer Gesellschaft dran sind“: „Es scheint, als dürften sie nicht zu ihren Fehlern stehen, denn sie müssen schwer dafür büssen, wenn sich nicht perfekt sind. Männer hingegen dürfen ständig Scheisse bauen, ohne dass sie irgendwelche Konsequenzen zu befürchten haben.“ Gleichzeitig betrachtet Bartz die vorgebliche Frauensolidarität aber auch kritisch. Denn entgegen dem Titel der deutschen Ausgabe, ist hinter dem schönen Schein keine der Frauen „perfekt“. Letztlich ist sich jede selbst am Nächsten.

Wertung: 3,5 / 5

Andrea Bartz: Perfect Woman
(Original: The Herd. Ballantine Books, New York 2020)
Aus dem Englischen von Frank Dabrok
Heyne, München 2021. 447 Seiten, 10,99 Euro/ca. 17 Franken

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Bild: Kate Lord

Andrea Bartz,

geboren 1986 in Milwaukee, Wisconsin, studierte an der Journalistenschule der Northwestern University in Evanston, Illinois. Als Journalistin schrieb und schreibt sie für zahlreiche namhafte Medien in den USA, unter anderem für „The Wall Street Journal“, „Travel & Leisure“, „Marie Claire“, „Vogue“, „Cosmopolitan“, „Woman’s Health“, „USA Today“ und „Elle“. Sie war zudem als Redaktorin bei „Glamour“, „Psychology Today“ und „Self“ tätig.

2019 veröffentlichte sie ihren ersten Thriller „The Lost Night“, der ein Erfolg wurde und auch auf Deutsch erschien („Flashback“, Heyne, 2020). Im Jahr darauf folgte „The Herd“, der Roman, der jetzt als „Perfect Woman“ auf Deutsch vorliegt. In Kürze erscheint in der USA ihr dritter Thriller „We Were Never Here“. Andrea Bartz lebt und arbeitet im New Yorker Stadtbezirk Brooklyn.


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