Eine schreckliche Familie wird ausgelöscht

Der erste Satz
Das Gefängnis von Limehouse ist grauenvoll – wie Sie sich vielleicht vorstellen können.

Krimi der Woche∙ N° 27/2022 ∙ Hanspeter Eggenberger

Trotz des „How to“-Titels handelt es sich hier natürlich nicht um einen Leitfaden. Aber „How To Kill Your Family“ ist auch nicht, wie der Titel befürchten lässt, einer dieser plump auf lustig getrimmten Pseudokrimis, die mit einer Ratgeberfunktion kokettieren. Ihr erster Roman ist zwar durchaus sehr witzig, doch die englische Journalistin Bella Mackie zeichnet auch ein bitterböses Gesellschaftsbild.

Grace Bernard hat sechs Menschen umgebracht. Jetzt sitzt sie im Gefängnis. Allerdings nicht wegen diesen sechs Toten, sondern wegen eines Mordes, den sie nicht begangen hat. Während sie auf den Berufungsentscheid wartet, schreibt sie in der Zelle auf, warum und wie sie zur Serienmörderin geworden ist.

Grace ist die uneheliche Tochter eines reichen Unternehmers, dessen Geliebte ihre Mutter war. Vom Liebhaber verstossen, musste sich die junge Frau mit dem Kind allein durchschlagen. Sie verstarb früh, Grace wurde von der gutmeinenden Familie eines Klassenkameraden aufgenommen. Und schwor sich Rache an der Familie ihres Erzeugers. „Ich bin kein verstossenes Vögelchen, das sich verzweifelt danach sehnt, ins warme Nest zurückzukehren. Ich will, dass diese Leute verschwinden.“

Für jeden und jede auf ihrer To-do-Liste heckt sie eine besondere Methode aus, die den Tod als Unfall erscheinen lässt. Den Anfang macht sie mit den Grosseltern, die seit Jahren in einer Villa in Marbella leben. Die sprechen kein Spanisch, essen jeden Tag Steak mit Fritten – und beklagen sich darüber, dass es da so viele Spanier gibt. Mit solch scharfem Sarkasmus, der Freude macht, sind Personenbeschreibungen immer wieder gewürzt. Es gibt ätzende Kommentare zu Influencerinnen, überhaupt zur ganzen Social-Media-Blase und vor allem zur besseren Gesellschaft. Graces Vater etwa ist „mit dem Bürgermeister, dem Premierminister und all denen per Dur, die man mit Geld kriegen kann – also so ziemlich jedem“.

Die Gesellschaftskritik kommt nie verbissen daher, sondern immer locker und unterhaltsam, mit viel Ironie und Witz. Besonders schlecht kommen die Männer weg. „Häufig scheint es mir besser zu sein, keine Ahnung zu haben, was in einem männlichen Hirn so vor sich geht“, findet Grace. „Ich befürchte, wen wir es wüssten, würden wir einen noch grösseren Teil unseres Lebens in Angst und Verzweiflung verbringen.“

Die Geschichte nimmt gegen Ende eine überraschende Wende. Denn der reiche Vater hat nicht nur Graces Mutter mit einem Kind sitzen gelassen. So macht ein unerwarteter Halbbruder, der irgendwie nach seinem Erzeuger zu kommen scheint, Grace den Anspruch auf das Familienvermögen streitig.

Wertung: 4 / 5

Bella Mackie: How To Kill Your Family
(Original: How To Kill Your Family. HarperCollins, London 2021)
Aus dem Englischen von Stephan Glietsch
Heyne Hardcore, München 2022. 431 Seiten, 22,70 Euro/ca. 30 Franken

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Bild: privat/PD

Bella Mackie,

, eigentlich Isabella Rusbridger, geboren 1983 in London, ist die Tochter von Alan Rusbridger, der bis 2015 während zwanzig Jahren Chefredaktor der linksliberalen britischen Tageszeitung „The Guardian“ war, und der Journalistin Lindsay Mackie. Als sie selbst Journalistin wurde, nahm sie den Nachnamen ihrer Mutter als Autorenname, um sich von ihrem prominenten Vater zu unterscheiden. Bella Mackie schrieb unter anderem für „The Guardian“ und das Magazin „Vice“, und sie ist Kolumnistin der britischen „Vogue“.

Ihren ersten Bucherfolg hatte sie mit einem Sachbuch: „Jog On: How Running Saved My Life“ (2018; Deutsch 2020 unter dem Titel „Läuft bei mir (nicht) – Wie du deiner Depression auf die Nerven gehst“ bei HarperCollins) und die Fortsetzung „Jog On Journal“ (2019) basierten auf ihrer Kolumne „Jog On“ in der „Sunday Times“. „How to Kill Your Family“ (2021) ist ihr erster Roman und wurde in Grossbritannien ein Bestseller.

Bella Mackie ist seit 2018 mit dem bekannten BBC-Radio- und TV-Moderator, Autor und Komiker Greg James verheiratet. Zusammen produziert das Paar für die BBC den preisgekrönten Podcast „Teach Me A Lesson“, von dem diese Woche die 37. Folge erschienen ist. Das Paar lebt mit seinem Hund Barney in London.


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