Sexuelle Übergriffe, Kreditwucher und Mord

Der erste Satz
Der Deputy schlug sich vorwarnungslos ins wuchernde Dickicht.

Krimi der Woche∙ N° 51/2022 ∙ Hanspeter Eggenberger

Warum hat der Tote, der grausam ermordet in einem abgelegenen Waldstück gefunden wird, einen Zettel mit der Telefonnummer von Felix Herschel in der Tasche? Er kenne den Toten nicht, sagt der Kanadier, der in Chicago studiert. Doch die Polizei sieht in ihm den Hauptverdächtigen. V. I. Warhsawski will ihm helfen, weil seine Tante ihre beste Freundin ist, doch er erzählt ihr kaum mehr als der Polizei. Warshawski ist Privatdetektivin, das V. steht für Virginia; ihre Vornamen schreibt sie nicht aus, weil es potenzielle Kunden abschrecken könnte, dass sie eine Frau ist.

Seit 40 Jahren ist Warshawksi die Heldin der Romane der amerikanischen Autorin Sara Paretsky, einer Poinierin der feministischen Kriminalliteratur. Der „Tough Guy Detective“ war seit den Dreissigerjahren der Archetyp der „hardboiled“ Kriminalliteratur. Wie die Bezeichnung schon sagt, waren dies Männer. Paretsky begann in den frühen Achtzigern, genauso hartgesottene Detektivromane zu schreiben, wobei sie die Hauptrolle mit einer Frau besetzte, die ebenso taff und schlagfertig ist, wie ihre Kollegen. Heute gehören Ermittlerinnen, ob private oder bei der Polizei beschäftigte, zum gewohnten Bild in Krimis.

Im neuen Roman „Schiebung“ muss Warhshawski ihre Brotjobs vernachlässigen, weil nicht nur der Mordfall, in den der Neffe ihrer Freundin verwickelt ist, ihre Aufmerksamkeit verlangt. Es taucht auch noch ihre Nichte auf, deren Schwester verschwunden ist. Der Mordfall führt die Detektivin in die Welt von Artefaktenraub und der Verfolgung unerwünschter Einwanderer. Und sie fragt sich, wie die USA zu einem Land geworden sind, „das Kinder ins Gefängnis sperrte für das Verbrechen, keine Geburtsurkunde zu haben?“ Im Vermisstenfall geht es bald um Kreditwucher, Aktienschwindel, Versicherungsbetrug und um sexuelle Übergriffe. Doch warum bedrohen in beiden Fällen die gleichen Schlägertypen die Detektivin? Und was hat ihr Ex damit zu tun?

Paretsky mischt all diese Themen zu einem spannenden, mit Action und Humor gewürzten Geschichte, die Hand und Fuss hat. Denn als studierte Politologin, Ökonomin und Historikerin kennt sie sich in vielen Bereichen vertieft aus. Und versteht es, diese kurzweilig und mit sozialkritischem Blick in ihren Plot einzubauen.

Immer wieder sorgen sich die Autorin und ihre Protagonistin über den Zustand ihres Landes. „Im heutigen Amerika sind wir gehirngewaschen genug, um zu denken, wir schuldeten einander weder Hilfe noch Unterstützung“, sinniert Warshawski einmal. „Je reicher wir sind, desto geneigter sind wir, unsere Nachbarn oder mittellosen Nichten einfach am Strassenrand krepieren zu lassen.“

Wertung: 4 / 5

Sara Paretsky: Schiebung
(Original: Shell Game. William Morrow, New York 2018)
Aus dem Englischen von Else Laudan
Ariadne im Argument Verlag, Hamburg 2022. 509 Seiten, 25 Euro/ca. 36 Franken

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Bild: Steven E. Gross

Sara Paretsky,

geboren 1947 in Ames, Iowa, wuchs im US-Bundesstaat Kansas auf. Sie studierte Politikwissenschaften an der University of Kansas in Lawrence und arbeitete als Sozialarbeiterin. Später nahm sie das Studium wieder auf und promovierte 1977 an der University of Chicago mit der Dissertation „The Breakdown of Moral Philosophy in New England Before the Civil War“ in Geschichte und schloss zudem mit einem MBA in Ökonomie ab. Während zehn Jahren arbeitete sie als Marketing Manager für eine Versicherungsgesellschaft in Chicago.

Schon als Kind wollte sie Schriftstellerin werden, doch sie begann erst mit Mitte Dreissig zu schreiben. 1982 veröffentlichte sie ihren ersten Krimi mit der Privatdetektivin V. I. Warshawski. Die Serie umfasst inzwischen 21 Bände, „Schiebung“ („Shell Game“, 2018), ist der 19., der 20., „Landnahme“ („Dead Land“, 2020) ist bereits 2021 auf Deutsch erschienenen.

Sie zählte 1986 zu den Gründerinnen von Sisters in Crime, einem internationalen Netzwerk, das Krimis von Frauen fördert. Die Organisation hat gegen 5000 Mitglieder in mehr als 60 Chapters in aller Welt. 1996 wurde auch ein deutschsprachiger Ableger gegründet, der sich 2007 von der amerikanischen Organisation löste und seither unter dem Namen Mörderische Schwestern – Vereinigung deutschsprachiger Krimi-Autorinnen selbständig tätig ist.

Paretsky heiratete 1976 den Physiker Courtenay Wright, mit dem sie schon seit 1970 zusammen war. Das Paar hatte drei Kinder. Wright starb 2018, einen Monat nach seinem 95. Geburtstag. Sara Paretsky lebt in Chicagos Stadtteil South Side.


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