Die Killerin aus Afrika

Der erste Satz
Echo warf noch einen Blick in den Spiegel, um sich davon zu überzeugen, dass ihre Schwimmkappe richtig sass und der wasserdichte Ohrhörer gut hinter ihren Diamantsteckern verborgen war.

Krimi der Woche ∙ N° 26/2023 ∙ Hanspeter Eggenberger

Die junge Afrikanerin Nena Knight, die in Miami lebt, hat einen besonderen Job: Sie ist unter dem Codenamen Echo eine hochtalentierte Killerin, die für das African Tribal Council, genannt „The Tribe“, arbeitet. Dieses Syndikat afrikanischer Geschäftsleute hat das Ziel, Afrika zu einer Wirtschaftseinheit „auf Augenhöhe mit den anderen Weltmächten“ zu machen. Ihr (Adoptiv-)Vater steht an der Spitze des „Tribe“, und er und seine Frau haben es verstanden, die Wut des Mädchens aus Ghana für den Job als Auftragsattentäterin zu kanalisieren.

Nena Knight ist die aufregende Heldin im fulminanten Thrillerdebüt „Echo der Gewalt“ der afroamerikanischen Autorin Yasmin Angoe, deren Eltern aus Ghana in die USA eingewandert sind. In den USA gibt es bereits einen zweiten Roman um Nena, und der Abschluss der Trilogie erscheint im Herbst 2023.

Nena ist eine zuverlässige Killerin. Bis sie eines Tages einen Bundesstaatsanwalt ausschalten soll. Zufällig hat sie den aus Haiti stammenden Juristen über seine Tochter kurz vor dem geplanten Hit kennengelernt. Und er hat, als erster Mann, bei ihr Gefühle geweckt. Dann entdeckt sie, dass der Nutzniesser des Attentats ein tot geglaubter Mann aus ihrer Heimat wäre, der mitverantwortlich für ihre grausame Misshandlung und ihren Verkauf an einen perversen Europäer war. Nena wird von ihrer Geschichte eingeholt und steht in einem Loyalitätskonflikt.

Der Roman erzählt parallel zur aktuellen Handlung in Miami Nenas Vorgeschichte in mit „Davor“ überschrieben Kapitel. Nena hiess Aninyeh und lebte im ghanaischen Dorf N'nkakuwe als Tochter des Häuptlings ein gutes Leben. Bis sie 14 war. Weil ihr Vater sich weigerte, Gangstern das Gebiet als Durchgang für ihren Menschenhandel zu überlassen, brannten diese das ganze Dorf nieder und töteten praktisch alle Bewohner. Nur die Mädchen überlebten, darunter Aninyeh. Sie wurden in ein Lager gebracht, wo sie brutal missbraucht und schliesslich an Ausländer verkauft wurden. Für Aninyeh ging der Schrecken in Paris weiter. Durch eine glückliche Fügung wurde sie nach ihrer Flucht von der Familie Knight in London als Tochter aufgenommen.

Während diese Kapitel in der ersten Person von Aninyeh im Präsens erzählt werden, schildert Yasmin Angoe die aktuelle Handlung, deren Kapitel mit „Danach“ überschrieben sind, in der dritten Person und der Vergangenheit. Dank diesem geschickten Kunstgriff erleben wir Kindheit und Jugend der Protagonistin aus ihrem Blickwinkel, während sich im „aktuellen Teil“ der Blick von aussen auf sie weitet.

„Echo der Gewalt“ ist ein ganz aussergewöhnlicher Thriller. Nicht nur wegen der ebenso raffinierten wie spannenden und rasanten Erzählweise, sondern vor allem auch wegen der faszinierenden Heldin, die durch die Rache für die Gewalt, die ihr angetan wurde, mehr und mehr zu sich selbst findet. Zudem setzt sich der Roman nicht nur mit Themen wie Rassismus und sexueller Gewalt auseinander, sondern auch mit Kolonialismus, internationalen Intrigen und dem Ungleichgewicht der Mächte in der Welt, mit Familie und Loyalität, mit Vergeltung und Vergebung. Das alles ohne zu dozieren, sondern in eine actionreiche und packende Story gepackt. So sieht intelligente Unterhaltung aus.

Wertung: 4,5 / 5

Yasmin Angoe: Echo der Gewalt
(Original: Her Name Is Knight. Thomas & Mercer, Seattle 2021)
Aus dem Englischen von Karin Diemerling
Suhrkamp, Berlin 2023. 424 Seiten, 18 Euro/ca. 25 Franken

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Bild: PD (yasminangoe.com)

Yasmin Angoe,

geboren (Jahrgang unbekannt, wahrscheinlich in den späten 1970ern) als Tochter von Einwanderern aus Ghana im Norden des US-Bundestaates Virginia und dort in der Gegend von Alexandria und Woodbridge aufgewachsen, studierte Englisch und im Nebenfach Pädagogik. Sie hat zudem einen Master-Abschluss in „Literacy and Technology“. Während mehr als zehn Jahren war sie als Englischlehrerin tätig.

Sie machte schliesslich ihre Begeisterung für jede Art von Literatur zum Beruf und arbeitet als freiberufliche Lektorin, Story-Development-Beraterin und Korrektorin (als Yasmin A. McClinton). Und sie schrieb schon früh auch selbst. Es dauerte jedoch bis 2021, bis ihr erster Roman „Her Name Is Knight“, der jetzt auf Deutsch als „Echo der Gewalt“ erschienen ist, publiziert wurde. Inzwischen hat sie ein weiteres Buch mit der Auftragskillerin Nena Knight, Codename Echo, veröffentlicht, „They Come at Knight“ (2022), und im September 2023 erscheint als Abschluss der Trilogie „It Ends with Knight“. Für ihr Debüt wurde sie von der Autorinnenorganisation Sisters in Crime, der sie selbst angehört, mit dem Eleanor Taylor Bland Award for Emerging Writers of Color ausgzeichnet.

Yasmin Angoe McClinton lebt mit ihrer Patchworkfamilie mit insgesamt vier Kindern in South Carolina.


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