„Ich bin ein Roman Noir. Ich ganz allein“

Der erste Satz
Innerhalb einer Woche bekam Christine Steiner, Commissaire bei der Antiterroreinheit DGSI, drei Kugeln aus einer AK47 mitten in die Brust und erfuhr vom Selbstmord ihrer Mutter.

Krimi der Woche∙ N° 14/2022 ∙ Hanspeter Eggenberger

Dass Autorenduos und auch Paare Krimis schreiben, ist nicht ungewöhnlich. Doch „Terminus Leipzig“ von Jérome Leroy und Max Annas ist ein aussergewöhnliches Werk. Dies vor allem, weil es Landes- und Sprachgrenzen überschreitet. Das Projekt entstand auf Initiative des renommierten internationalen Festivals Quais du Polar, das jährlich im französischen Lyon stattfindet und sich dem Krimi in gedruckter und filmischer Form widmet. Es bringt zwei herausragende Vertreter des politischen Noir, einer aus Frankreich, der andere aus Deutschland, in einem Werk zusammen.

Im Roman, der unter dem gleichen Titel gleichzeitig auf Französisch und auf Deutsch erschienen ist, wechseln sich die beiden Autoren mit Kapiteln zur gleichen Geschichte ab. Der Franzose Leroy ist mit der französischen Protagonistin Christine Steiner, Commissaire bei der Antiterroreinheit DGSI, unterwegs, der Deutsche Annas mit älteren Deutschen mit Vergangenheit in der linksextremen Terrorszene der Siebzigerjahre. Für die deutsche Ausgabe wurden die Kapitel von Leroy ins Deutsche übersetzt, für die französische Ausgabe diejenigen von Annas in Französische.

Es ist eine schnelle, kompakte Geschichte, in der junge Rechtsextremisten nicht mehr nur fremdenfeindliche Anschläge verüben, sondern sich Symbolfiguren der linksextremen Szene um die Baader-Meinhof-Gruppe, die überlebt haben, vornehmen. Dabei stösst die unzimperliche Antiterror-Kommissarin Christine Steiner, deren Mutter sich vor Kurzem umgebracht hat, beim Mord an einem Deutschen in Lyon auf Spuren ihres Vaters. Ihre aus Deutschland stammende Mutter hatte ihr nichts über ihn verraten.

Christine Steiner ist gerade wegen eines Blutbades, in dem eine ihrer Aktionen gegen Rechtsextremisten geendet hat, suspendiert. Sie nimmt die Spur des Mannes auf, der offenbar ihr Vater ist. Und der für sie die Schuld am Suizid ihrer Mutter trägt. Sie will ihn zur Verantwortung ziehen. Auf den alten Linken in Leipzig hat es auch ein rechtsextremes Mordkommando abgesehen, das schwer bewaffnet fast gleichzeitig wie seine Tochter bei seinem Häuschen aufkreuzt. Die Gewalt eskaliert.

127 Seiten genügen dem Autorenduo, um eine düstere Geschichte zu erzählen, die fast durchgehend dreckig und brutal ist. Und in der nicht nur die Rechten, sondern auch die Linken schonungslos dargestellt werden. Dass dabei das Persönliche in Form der Familiengeschichte der knallharten und einsamen Kommissarin das Politische ergänzt, gibt der Story einen besonderen Reiz. „Der Roman Noir bin ich, dachte sie, während sie sich über das Waschbecken beugte und sich den Mund ausspülte. Ich bin ein Roman Noir. Ich ganz allein.“

Wertung: 4 / 5

Jérôme Leroy, Max Annas: Terminus Leipzig
Französische Kapitel ins Deutsche übersetzt von Cornelia Wend
Edition Nautilus, Hamburg 2022. 127 Seiten, 16 Euro ca. 24 Franken

Bestellen bei Amazon

 

Bild: Pascal Ito

Jérôme Leroy,

geboren 1964 in Rouen in der Normandie, war während rund 20 Jahren Französischlehrer an verschiedenen Schulen im Norden Frankreichs, vor allem in Roubaix. Seinen ersten Roman „L’Orange de Malte“ (1990) schrieb er während seiner Zeit im Militär.

Inzwischen publizierte er um die 15 Romane, mehrere Gedichtbände und eine ganze Reihe von Jugendbüchern. Zum sogenannten Néo-Polar, dem Krimi als gesellschaftskritischem Roman, kam er durch einen Freund, den Schriftsteller Frédéric H. Fajardie, einen der Pioniere der modernen französischen Kriminalliteratur. Für Leroy ist die Kriminalliteratur inzwischen „eine zeitgemässe Form der Geschichtsschreibung“.

In seinem Politthriller „Le Bloc“ (2011, Deutsch: „Der Block“, 2017) geht es um die Machtergreifung einer rechtsextremen Partei in Frankreich, der als Schlüsselroman über den Front National gilt. Auf diesem Roman basiert der Spielfilm „Chez nous“ (2017) des belgischen Regisseurs Lucas Belvaux; Leroy wirkte auch am Drehbuch mit. Auf Deutsch erschienen sind auch seine Roman „Die Verdunkelten“, (2018) und „Der Schutzengel“ (2020). Jérôme Leroy lebt in Lille, der Grossstadt ganz im Norden Frankreichs an der Grenze zu Belgien

geboren 1964 in Rouen in der Normandie, war während rund 20 Jahren Französischlehrer an verschiedenen Schulen im Norden Frankreichs, vor allem in Roubaix. Seinen ersten Roman „L’Orange de Malte“ (1990) schrieb er während seiner Zeit im Militär.

Inzwischen publizierte er um die 15 Romane, mehrere Gedichtbände und eine ganze Reihe von Jugendbüchern. Zum sogenannten Néo-Polar, dem Krimi als gesellschaftskritischem Roman, kam er durch einen Freund, den Schriftsteller Frédéric H. Fajardie, einen der Pioniere der modernen französischen Kriminalliteratur. Für Leroy ist die Kriminalliteratur inzwischen „eine zeitgemässe Form der Geschichtsschreibung“.

In seinem Politthriller „Le Bloc“ (2011, Deutsch: „Der Block“, 2017) geht es um die Machtergreifung einer rechtsextremen Partei in Frankreich, der als Schlüsselroman über den Front National gilt. Auf diesem Roman basiert der Spielfilm „Chez nous“ (2017) des belgischen Regisseurs Lucas Belvaux; Leroy wirkte auch am Drehbuch mit. Auf Deutsch erschienen sind auch seine Roman „Die Verdunkelten“, (2018) und „Der Schutzengel“ (2020). Jérôme Leroy lebt in Lille, der Grossstadt ganz im Norden Frankreichs an der Grenze zu Belgien.

Max Annas,

geboren 1963 in Köln, war Musikjournalist, Sachbuchautor und Dokumentarfilmer. Er veröffentlichte Bücher zu Popkultur, Politik und Sport. Längere Zeit lebte er in Südafrika, wo er für die University of Fort Hare in East London an einem Forschungsprojekt über südafrikanischen Jazz arbeitete.

In Südafrika spielen auch seine beiden brillant konzipierten Romane „Die Farm“ (2014) und „Die Mauer“ (2016), deren Handlung sich auf eine Nacht beziehungsweise einen Tag konzentriert. Wie in diesen Werken setzt sich Annas auch in den in Deutschland angesiedelten Romanen „Illegal“ (2017) und „Finsterwalde“ (2018) mit Rassismus auseinander, ebenso in den beiden in der DDR spielenden „Morduntersuchungskommission“-Kriminalromanen (2019 und 2020). Um den Terrorismus in Deutschland in den 1970er Jahren dreht sich „Der Hochsitz“ (2021).

Vor seiner Karriere im belletristischen Bereich veröffentlichte er verschiedene Sachbücher zu Film, Musik, Politik und Nahrungsmittelproduktion. Er war zudem Kurator bei verschiedenen Filmfestivals. Max Annas lebt in Berlin.


Zurück
Zurück

Neun Killer in einem Zug

Weiter
Weiter

Der Vollstrecker im Reservat