Ein Höllentrip durch den neuen Wildwestkapitalismus

Der erste Satz
Wenn die Stadt nur nicht so stinken würde.

Krimi der Woche ∙ N° 09/2021 ∙ Hanspeter Eggenberger

Schon seit etlichen Jahren verändern die Globalisierung und die Digitalisierung die Welt rasend schnell. Viele können mit diesem Tempo nicht mithalten. Auch die Kriminalliteratur nicht, der diese Entwicklungen eigentlich interessante neue Spielfelder eröffnet. Die seltenen Romane, die in diese neuen Welten eintauchen, kommen meist von Autoren, die sehr viel darüber wissen, aber keine Ahnung von Krimidramaturgie haben und uns mit zu vielen Details aus ihrem Fachgebiet langweilen.

Nicht so der deutsche Autor Tom Hillenbrand, der schon mit Kulinarikkrimis (um den Ex-Sternekoch Xavier Kieffer) wie auch mit Science-Fiction-Thrillern („Drohnenland“, „Hologrammatica“) Furore machte. Nicht weit in der Zukunft angesiedelt ist sein brandneuer Thriller „Montecrypto“: ein furioser Höllentrip durch den Wildwestkapitalismus der Kryptowährungen.

Ed Dante, ehemaliger Compliance Officer einer berüchtigten Pleitebank und nun Privatdetektiv für Finanzermittlungen, soll das versteckte digitale Vermögen des bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommenen Kryptogeldpioniers Greg Hollister finden. Dante stellt rasch fest, dass es bei Bitcoins auch nicht anders läuft als im klassischen Finanzgeschäft: „Aktien, Anleihen, Währungen – alles ist genauso viel wert, wie die Leute glauben, dass es wert ist. Geld ist kondensierte Hoffnung, ist Glaube – Glaube daran, dass ein Asset weiter steigt; Glaube daran, dass man nicht zu teuer gekauft hat; Glaube daran, dass ein noch grösserer Depp um die Ecke kommen und einem die Ölfässer, Schweinehälften oder hässlichen Münzen mit Schildkrötenlogo für das Doppelte abnehmen wird; Glaube daran, dass die eigene Gier gerechtfertigt ist.“ Dante wünscht sich schon mal, „er hätte es mit einem stinknormalen Fall von Veruntreuung oder Erbschleicherei zu tun“.

Im Internet brodeln die Gerüchte um den immensen „Montecrypto“-Schatz, und Horden von Digitalnerds beginnen, Jagd darauf zu machen. Dante muss im Auftrag von Hollisters Schwester den anderen Schatzsuchern zuvorkommen. Die werden angetrieben durch verschlüsselte Hinweise in Videos von Hollister, die plötzlich auftauchen und die er scheinbar vor seinem Tod vorbereitet hat.

Bevor es nach einer rasanten und actionreichen Schnitzeljagd in Acapulco zum brutalen Showdown kommt, führen die Ermittlungen Dante auch in die Schweiz. Im Kanton Zug, „dessen Geschäftsgrundlage darin besteht, die Briefkastenfirmen von Waffenhändlern und Steuerflüchtlingen in Ruhe zu lassen“, stösst er auf eine Klickfarm von Hollister: Tausende von Handys lösen automatisiert unzählige Bankgeschäfte aus.

Wertung: 4 / 5

Tom Hillenbrand: Montecrypto
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021. 444 Seiten, 16 Euro/ca. 22 Franken

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Bild: Bogenberger Autorenfotos/KiWi

Tom (Thomas) Hillenbrand,

geboren 1972 in Hamburg, studierte Politik und Wirtschaft und besuchte die Georg-von-Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalisten. Als Journalist arbeitete er unter anderem für „Handelsblatt“ „Spiegel Online“, „Financial Times Deutschland“ und „Wired Deutschland“. Bei „Spiegel Online“ war er Wirtschaftsredaktor und zeitweise Leiter des Auto-Ressorts; von 2011 bis 2017 schrieb er unter dem Pseudonym Tom König die Kundenkolumne „Warteschleife“.

2011 erschien „Teufelsfrucht“, der erste Band seiner erfolgreichen Krimireihe um den ehemaligen Sternekoch Xavier Kieffer, der in Luxemburg ein kleines Restaurant betreibt. Es folgten bis 2018 fünf weitere Kieffer-Krimis. „Drohnenland“ war 2014 Hillenbrands erster Science-Fiction-Thriller. In „Der Kaffeedieb“ (2016) ging es unter anderem um Kryptologie im Barock. Mit „Hologrammatica“ (2018) und „Cube“ (2020) folgten weitere in der Zukunft angesiedelte Thriller. Hillenbrand wurde für seine Romane mehrfach ausgezeichnet, unter anderem für „Drohnenland“ mit dem Friedrich-Glauser-Preis.

Wenn er nicht schreibt, kocht er oder jagt „mit Bogen und Schwert Monster durch Dungeons, und zwar auf die althergebrachte Art: mit Papier, Bleistift und Würfeln“, wie er selbst schreibt. Er lebt in München.


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