Ein Killer will in Pension gehen

Der erste Satz
Billy Summers sitzt in der Hotelhalle und wartet darauf, abgeholt zu werden.

Krimi der Woche ∙ N° 32/2021 ∙ Hanspeter Eggenberger

Irgendwie hat Billy Summers von Anfang an ein ungutes Gefühl bei diesem Auftrag. Aber er bringt 2 Millionen ein. Die kommen ihm gerade recht, denn er will seinen Job als Auftragskiller beenden. Dass das kaum gut gehen kann, wissen wir aus dem Genre. Doch Stephen King, der Autor des Kriminalromans „Billy Summers“ kommt gar nicht aus Krimi, der Star ist berühmt für seine Horrorromane, von denen wir viele auch aus dem Kino kennen.

Billy Summers ist ein ziemlich schlauer und belesener Irakkriegsveteran. Er will nur schlechte Menschen umbringen, versteht sich als „Müllmann mit Waffe“. Seinen Auftraggebern gegenüber gibt er den Einfältigen; er wird lieber unterschätzt. Unter der Tarnung als Schriftsteller richtet er sich in einer Provinzstadt ein, um nach monatelangem Warten von seinem Büro in einem Hochhaus aus einen Mörder auf der Treppe zum Gericht zu erschiessen.

In den Wochen des Wartens beginnt Billy tatsächlich zu schreiben. Seine Lebensgeschichte. Eine tragische Jugend treibt ihn früh ins Militär; im Irakkrieg ist er Scharfschütze. Seine Geschichte zu erzählen, gefällt ihm: „Er hatte keine Ahnung, wie gut man sich beim Schreiben fühlen kann.“ Nach der Ausführung des Jobs setzt sich Billy ab, denn die Auftraggeber trachten ihm nach dem Leben. Durch Zufall kommt er in seinem Versteck mit Alice zusammen, einer jungen Frau, die gerade eine Gruppenvergewaltigung hinter sich hat.

Es ist eine raffiniert aufgebaute und gekonnt erzählte Story, wie man das von einem wie Stephen King erwartet. Mit gut 700 Seiten gehört „Billy Summers“ zu den eher kürzeren Werken des Vielschreibers. Langweilig wird es nie. Denn King hat verschiedene Geschichten eng miteinander verflochten. Da ist einmal die Auftragsmordsache, die dann zu einer Auseinandersetzung unter den Gangstern führt. Die Lebensgeschichte von Billy und der Krieg im Irak samt blutigen Szenen in Falludscha werden sozusagen zum Roman im Roman. Dann die Vergewaltigung, die Billy nicht einfach so stehen lassen will. Über weite Strecken sind wir wie in einem Roadmovie unterwegs durch die US-Provinz. Und schliesslich handelt das Buch auch ein wenig vom Schreiben.

King schreibt packend und intelligent. Es gibt Bezüge zu Popkultur wie Comics und Musik, Reverenzen an Literatur von Emile Zola bis James M. Cain, politische Seitenhiebe etwa gegen einen zum Präsidenten gewählten Hochstapler und leicht selbstironisches Selbstreferenzielles wie zu seinem Frühwerk „Shining“. Und immer wieder kleine Oden an das Beglückende am Schreiben.

Stephen King, inzwischen 73-jährig, erweist sich auch im Krimigenre als Meister.

Wertung: 4 / 5

Stephen King: Billy Summers
(Original: Billy Summers. Scribner, New York 2021)
Aus dem Englischen von Bernhard Kleinschmidt
Heyne, München 2021. 719 Seiten, 26 Euro/ca. 39 Franken

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Bild: Shane Leonard

Stephen King,

geboren 1947 als Stephen Edwin King in Portland im US-Bundesstaat Maine, ist einer der weltweit bekanntesten und erfolgreichsten Autoren. Er begann schon als Siebenjähriger, Geschichten zu schreiben und schaute sich im Kino gerne Fantasy- und Science-Fiction-Filme an. Schon früh entwickelte er eine Vorliebe für düstere Horror- und Fantasy-Storys.

Er studierte Englisch an der University of Maine in Orono und arbeitete danach zunächst als Englischlehrer. Daneben begann er zuerst Kurzgeschichten, dann auch Romane zu schreiben. Die ersten Romane wurden jedoch von keinem Verlag angenommen. Später überarbeitete er sie und veröffentliche sie unter dem Namen Richard Bachmann.

Den Durchbruch schaffte er schon mit dem ersten veröffentlichten Roman, „Carrie“ (1974), der von Brian De Palma mit Sissy Spacek und John Travolta auch erfolgreich verfilmt wurde. King entwickelte sich zum Vielschreiber, der oft in einem Jahr mehrere Romane veröffentlichte. Bis heute sind es insgesamt mehr als 60, und viele davon sind auch verfilmt worden, darunter etwa „Shining“, „Knightriders“, „Creepshow“, „Dead Zone“, „Cujo“, „Christine“, „Pet Sematary“ („Friedhof der Kuscheltiere“), „Tales from the Darkside“ („Geschichten aus der Schattenwelt“), „Misery“ und „Needful Things“ („In einer kleinen Stadt“). Seine Bücher werden in mehr als 40 Sprachen übersetzt; die Gesamtauflage lag 2017 bei über 400 Millionen Exemplaren. Es handelt sich dabei mehrheitlich um Horrorgeschichten, die gerne sehr umfangreich sind; die achtbändigte Reihe „Der Dunkle Turm“ ist eine Fantasy-Saga. King wurde für seine Werke mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.

Gelegentlich macht er als Gitarrist und Sänger in der Band Rock Bottom Remainders mit, die vor allem an Benefizanlässen auftritt und der auch andere Autoren wie Dave Barry, Ridley Pearson, Amy Tan und Matt Groening angehören. Er ist sehr aktiv in den sozialen Medien, insbesondere auf Twitter. Als Vielleser empfiehlt er immer wieder Bücher von Kolleginnen und Kollegen. Er äussert sich auch gerne zur US-Politik; in den letzten Jahren profilierte er sich harter Trump-Kritiker.

Er heiratete 1971 Tabitha Spruce; sie hatten sich während dem Studium an der Uni in einem Literatur-Workshop kennengelernt. Tabitha King ist selber auch Schriftstellerin. Auch zwei Söhne wurden Schriftsteller, Owen Philip King und Joseph Hillström King, der unter dem Namen Joe Hill publiziert; Tochter Naomi Rachel King ist Pfarrerin bei der liberalen Religionsgemeinschaft Unitarian Universalist Association.

Stephen und Tabitha King leben in Bangor im US-Bundesstaat Maine, wo sie eine Gruppe von drei Radiostationen besitzen. Sie spendeten der Stadt ein Sportstadion und vergeben über eine Stiftung, die Stephen and Tabitha King Foundation, vergibt das Paar jährlich gegen 3 Millionen Dollar für wohltätige Zwecke.


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