Undercover-Cop als Drag Queen

Der erste Satz
Ich hasse Showmelodien.

Krimi der Woche∙ N° 02/2022 ∙ Hanspeter Eggenberger

Mit dem Titel „Drag Cop“ auf Regenbogenstreifen wird die deutsche Ausgabe dieses Krimis, marketingtechnisch sicher nicht ungeschickt, in der LGBTQ-Szene positioniert. Das Original der kanadischen Autorin Candas Jane Dorsey präsentiert sich differenzierter: „The Adventures of Isabel“ heisst da der Titel, ergänzt durch den Untertitel „A Postmodern Mystery“. Dorsey, selbst nicht nur Autorin von Science-Fiction-Romanen, sondern auch Lyrikerin, bezieht sich dabei auf ein gleichnamiges Gedicht des amerikanischen Lyrikers Ogden Nash (1902–1971) aus den Dreissigerjahren. Die Zeilen dieses witzigen Gedichts, das von einem Mädchen handelt, das von einem gefrässigen Bären, einer Hexe, einem Riesen und einem Arzt bedroht wird, sie am Ende aber alle mit ihrer Cleverness besiegt, bilden im Roman Kapitelüberschriften – in der Reihenfolge des Originalgedichts. Diese Hauptkapitel sind dann wiederum durch insgesamt 140 durchnummerierte Zwischentitel in teils sehr kurze Abschnitte gegliedert.

Die Heldin, eine arbeitslose Sozialarbeiterin, die als Icherzählerin auftritt, ist in dem Roman namenlos. „Heisst du Isabel“, fragt am Ende des Buches die Freundin, die das Manuskript gelesen hat. „,Nein’, sagte ich überrascht. ,Wieso?’“ Zu den nicht wenigen Besonderheiten dieses sehr außergewöhnlichen Romans gehören eingestreute Reflexionen zur Struktur von Kriminalromanen, mit der sich die Icherzählerin auseinandersetzt. Und immer wieder auch zu Sprachgebrauch und Ausdrucksweisen.

Aber beginnen wir am Anfang. Hep, eine alte Freundin, die so genannt wird, weil sie aussieht wie Katherine Hepburn, bittet die Erzählerin um Hilfe. Sie soll dem Mord an ihrer Enkelin, die drogensüchtig und Prostituierte war, nachgehen, da man sich in solchen Fällen auf die Polizei nicht verlassen könne. Die ausgesteuerte Sozialarbeiterin, die sich gerade als Sexdienstleisterin für jedes Geschlecht anbieten wollte, da sie darin neben der Sozialarbeit ihre einzigen Fähigkeiten sah, übernimmt diesen Job.

So entwickelt sich eine recht komplexe Geschichte, in der es um Sexismus, Rassismus und Gewalt in vorgeblich frommen Kreisen, um homo- und pansexuelle Begegnungen, Korruption, Drogenhandel, eine schwierige Erbschaft und Korruption geht. Da tritt, eher nebenbei, auch eine Drag Queen auf, die sich als Undercover-Cop entpuppt, was den deutschen Titel auflöst.

„Drag Cop“ ist ein sehr spezieller Kriminalroman. Er steckt voller Anspielungen, nicht nur auf das erwähnte Gedicht. Das macht die Lektüre streckenweise etwas anstrengend, da man immer wieder spürt, dass da Bezüge sind, die sich für die deutschsprachige Leserschaft aber nicht einfach erschliessen. Egal! Denn schräge Ideen, ein umwerfender Sinn für Humor, ein unverkrampfter Umgang mit Sex ohne geschlechtsspezifische Präferenzen, ätzender Sarkasmus und liebevolle Beziehungsgeschichten, alles gewürzt mit Gewalt und Leidenschaft, machen „Drag Cop“ nicht nur zu einem aussergewöhnlichen, sondern auch lustigen Lesevergnügen.

Wertung: 4 / 5

Candas Jane Dorsey: Drag Cop
(Original: The Adventures of Isabel. A Postmodern Mystery, by the Numbers.
ECW Press, Toronto/Ontario, Kanada 2020)
Aus dem Englischen von Conny Lösch
Suhrkamp, Berlin 2021. 361 Seiten, 11 Euro/ca. 17 Franken

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Bild: Kim Griffiths/Pushkin Press

Candas Jane Dorsey,

geboren 1952 in Edmonton, der Hauptstadt der kanadischen Provinz Alberta, hat Abschlüsse in Englisch und Theaterwissenschaften sowie Sozialarbeit. Von 1973 bis 1979 arbeitete sie als Sozialarbeiterin und Kinderbetreuerin.

Schon seit ihrer Jugend hat sie geschrieben, und seit 1979 ist sie als freie Autorin sowie als Verlegerin und Herausgerberin tätig. In den 1980er Jahren war sie Herausgeberin der Kulturzeitschrift „The Edmonton Bullet“. In den 1990ern war sie als Herausgeberin für verschiedene Buchverlage tätig. An verschiedenen Schulen und Universitäten unterrichtete sie professionelles Schreiben.

Ihre eigenen Buchveröffentlichungen reichen von Lyrik über Science-Fiction-Romane bis zu Sachbüchern. „The Adventures of Isabel“ (2020; Deutsch: „Drag Cop“, 2021), ist ihr erstes Buch, das auf Deutsch erscheint. Die Geschichte um eine namenlose arbeitslose Sozialarbeiterin ist offenbar der Auftakt einer Serie; in Kanada ist inzwischen der zweite Band „What’s the Matter with Mary Jane?“ erschienen.

Candas Jane Dorsey lebt in ihrer Heimatstadt Edmonton, wo sie sich als Aktivistin in der LGBTQ-Szene engagiert.


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