Das wahre Leben ist ein Scheisskerl

Der erste Satz
Ihr Vater benötigte viel länger als erwartet, um zu verbrennen.

Krimi der Woche∙ N° 03/2022 ∙ Hanspeter Eggenberger

Bestatter haben wohl berufsbedingt ein etwas anderes Verhältnis zum Tod als die meisten Leute. Vielleicht auch zum eigenen Tod. Bei Jim Skelf war es sicher so. Der Inhaber eines Bestattungsinstituts und einer Privatdetektei in Edinburgh wollte kein Begräbnis, wie er es seiner Kundschaft verkaufte. Er wollte im Garten hinter dem Haus verbrannt werden.

 „Einäscherung“ heisst der Roman des Schotten Doug Johnstone, der mit der leicht makabren Szene dieser unkonventionellen und langwierigen Kremation beginnt. Um das Feuer sitzen die Hinterbliebenen, namentlich Dorothy, Jims Witwe, die Tochter Jenny und deren Tochter Hannah. Die drei Generationen Skelf-Frauen sind die Hauptfiguren des Romans, der den Auftakt einer vielversprechenden Serie bildet.

Jenny, Mitte 40, die soeben ihren letzten festen Auftrag als Journalistin verloren hat, steigt ins Familiengeschäft ein, um ihre Mutter bei Bestattungen und Ermittlungen zu unterstützen. Studentin Hannah, deren Freundin Indy im Bestattungsinstitut arbeitet, zeigt detektivisches Talent, nachdem ihre und Indys Mitbewohnerin zunächst verschwunden ist und dann als Leiche wieder auftaucht. Derweil geht Dorothy der Frage nach, warum ihr verblichener Gatte seit zehn Jahren heimlich einer alleinerziehenden Mutter jeden Monat 500 Pfund überwies.

Doch auch für Kunden wird ermittelt. Dabei geht es etwa um einen möglichen Ehebruch. Und um einen alten Mann, der allein in einem grossen Haus lebt, in dem Sachen verschwinden. Daneben sind stetig Bestattungen durchzuführen. Der Tod ist zwangsläufig allgegenwärtig in dieser vielschichtigen Geschichte, in der es auch um das Familienleben, um Einsamkeit und um Verluste geht. „Das Geschäft mit dem Tod hörte nie auf. Menschen werden immer sterben, und wir werden immer trauern, und es wird uns wehtun“, sagt sich Dorothy einmal. „Man kann nur weitermachen, denn was gibt es sonst?“ So düster die Geschichte ist, sie hat auch komische Seiten. Und Johnstone verwebt gekonnt Brutalität mit schwarzem Humor und auch mit Warmherzigkeit. Es herrscht eine zwar vorwiegend melancholische, meist aber zugleich leise heitere Stimmung.

Ausser, wenn es gerade hart zur Sache geht. Etwa um Männer und wie sie mit Frauen umgehen. Um Sexismus, um Gewalt gegen Frauen. Was besonders dramatisch wird, wenn es in die eigene Familie hineinspielt. „Das wahre Leben lässt einen einfach sprachlos und einsam zurück, um Menschen trauernd, die nie mehr zurückkommen, und mit dem Wunsch, man hätte auf eine nicht näher bezeichnete Art anders gelebt“, denkt Hannah. „Das wahre Leben ist ein Scheisskerl. Und dann stirbst du.“

Wertung: 4 / 5

Doug Johnstone: Eingeäschert
(Original: A Dark Matter. Orenda Books, London 2019)
Aus dem Englischen von Jürgen Bürger
Polar Verlag, Stuttgart 2022. 423 Seiten, 25 Euro/ca. 35 Franken

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Bild: Chris Scott

Doug Johnstone,

geboren 1970, wuchs in der an der schottischen Ostküste zwischen Edinburgh und Aberdeen gelegenen Kleinstadt Arbroath auf, beide Elternteile waren Lehrer. Schon als Schüler hat er gerne Geschichten geschrieben, doch nach der Schule studierte er an der Universität in Edinburgh Physik und promovierte in Atomphysik. Gleichzeitig hat er auch immer geschrieben, zunächst vor allem als Musikjournalist, da er auch selber Musiker ist. Nach dem Studium arbeitete er als Ingenieur für Radarsysteme; da ihm das aber keinen Spass machte, wurde er schliesslich Journalist.

Mit Anfang 30 begann er an Romanen zu arbeiten; inzwischen zählt er zu den besten Krimiautoren Schottlands. Seit 2006 veröffentlichte er ein gutes Dutzend Romane. Auf Deutsch ist im letzten Jahr „Der Bruch“ („Breakers“, 2019) erschienen, drei seiner früheren Romane sind ebenfalls ins Deutsche übersetzt worden: „Smokeheads“ (2012), „Hit & Run“ (2015) und „Gone Again“ (2015; Deutsch: „Wer einmal verschwindet“; die anderen beiden erschienen auf Deutsch mit dem Originaltitel). Mit dem jetzt neu erschienenen Roman „Eingeäschert“ (Original: „A Dark Matter“, 2019) hat er erstmals eine Serie gestartet; auf Englisch liegen inzwischen schon drei Bände um die Frauen der Familie Skelf vor.

Als Musiker hat Doug Johnstone in verschiedenen Bands gespielt, darunter Northern Alliance, die mehrere Alben veröffentlichten. Auch als Singer/Songwriter unter seinem eigenen Namen veröffentlichte er Musik. Seit ein paar Jahren ist er Schlagzeuger bei den Fun Lovin’ Crime Writers, einer Band, die ausschliesslich aus schottischen Krimiautoren besteht. Neben Johnstone sind da Val McDermid, Mark Billingham, Chris Brookmyre, Stuart Neville und Luca Veste dabei. Ausserdem ist Johnstone Spieler und Manager des Scotland Writers Football Club, einer Schriftsteller-Fussballmannschaft.

Doug Johnstone ist ein vehementer Befürworter der Unabhängigkeit Schottlands vom Vereinigten Königreich. Er lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Edinburgh.


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