Mörderische Melancholie in Wien

Der erste Satz
Das Telefon läutet.

Krimi der Woche∙ N° 06/2022 ∙ Hanspeter Eggenberger

Zuerst ist es nur eine hypothetische Frage: Wäre ich fähig zu einem Mord?, fragt sich der Wiener Schriftsteller Konrad Mola, während er für einen TV-Film einen Serienmörder spielt. „Noch habe ich keine Lust am Töten verspürt, aber vielleicht verändert sich das das im Laufe des Drehs.“ Bald stellt sich die Frage anders: Ist er ein Mörder? Nach einem Besäufnis hat Mola einen Blackout. In der Nähe der Bar, in der er zu viel getrunken hatte, ist in dieser Nacht eine Prostituierte ermordet worden. Und es gibt Überwachungskamerabilder, die Mola im Gespräch mit dieser jungen Frau zeigen.

Konrad Mola ist der Icherzähler im neuen Roman „Mein Leben als Serienmörder“ des österreichischen Schriftstellers und Schauspielers Josef Kleindienst. Es ist nicht ein Kriminalroman im klassischen Sinn. Sondern das empathische Porträt eines Mannes, der in Verdacht gerät, ein Mörder zu sein, und der immer mehr neben die Spur gerät. Denn er weiss selbst nicht, ob er die Frau getötet hat oder nicht. „Wenn ich schuldig wäre, könnte ich nichts dagegen tun. Blöd wäre es bloss, wenn ich unschuldig wäre, aber als schuldig betrachtet werden würde. Und ich nicht einmal wüsste, dass ich unschuldig bin und mich in mein Schicksal ergäbe.“

Das Unheil verfolgt den Protagonisten, der wie sein Erfinder Schriftsteller und gelegentlich Schauspieler ist, schon etwas länger. Vor den Dreharbeiten für den Film über einen tatsächlichen Serienmörder ist auf einer Ferienreise mit seiner Freundin in Spanien das Auto des Paars aufgebrochen worden. Nicht nur sein Pass war weg, sondern auch das handschriftlich lektorierte Manuskript seines neuen Buches.

Während seine Freundin als Musikerin in Indien unterwegs ist, spielt er die Serienmörderrolle, die ihn immer mehr gefangen nimmt. Und nach dem Absturz zusammen mit dem Produzenten des Films nach der Drehabschlussparty wird die Lage ernst. Das Überwachungsfoto kommt in einer Zeitung, es folgt ein Shitstorm im Internet: „Vielleicht sollte ich keine Nachrichten mehr lesen, auf das Internet verzichten, das mich tagein tagaus mit Informationen versorgt, als wäre ich an eine Dialysemaschine angeschlossen. Nur werden mir keine schädlichen Stoffe entfernt, sondern hinzugefügt.“

Wiener Melancholie prägt den Roman. Die lakonische und witzige, immer auch ironische Icherzählung entwickelt bald einen Sog, von dem man sich gerne mitziehen lässt. Derweil wandelt sich die leise Heiterkeit des Beginns zunehmend zu bedrohlicher Beklemmung. Das überzeugt. Wer eine typische Krimiauflösung will, ist jedoch bei Josef Kleindienst an der falschen Adresse.

Wertung: 4 / 5

Josef Kleindienst: Mein Leben als Serienmörder
Sonderzahl Verlag, Wien 2022. 182 Seiten, 20 Euro/ca. 28 Franken

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Bild: Heidi Pein

Josef Kleindienst,

geboren 1972 in Spittal an der Drau (Kärnten), studierte an der Universität für angewandte Kunst in Wien und in Amsterdam Philosophie und Theaterwissenschaften. Mit seinem Hörspiel „Werden Sie Mitglied“ wurde er 2008 zum Berliner Hörspielfestival eingeladen.

Sein erster Roman hiess „An dem Tag, als ich meine Friseuse küsste, sind viele Vögel gestorben“ (2010). Er war nicht nur nominiert für den Preis „Kuriosester Buchtitel des Jahres“, sondern führte auch zu einer Einladung an das jährlicher „Wettlesen“ um den Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt. 2011 erhielt Kleindeinst das Wiener Dramatikerstipendium, 2012 den Förderungspreis des Landes Kärnten für Literatur und 2019 das Kärntner Dramatikerstipendium.

Gelegentlich ist er auch als Schauspieler tätig, und er schreibt Theaterstücke und Drehbücher. 2020 wurde er für „Die Verkündung“ mit dem Carl-Meyer-Drehbuchpreis ausgezeichnet. Er lebt und arbeitet in Wien.


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