Unheimlicher Killer in Chengdu

Der erste Satz
Erinnerst Du Dich nicht mehr an mich, Student 8102?

Krimi der Woche∙ N° 07/2022 ∙ Hanspeter Eggenberger

18 Jahre nach den brutalen Morden an Polizeiangehörigen, die nie geklärt wurden, taucht der geheimnisvolle Mörder wieder auf. Ein Dutzend Verbrecher, die sich der Polizei entziehen konnten, hat er brutal hingerichtet. Jetzt kündigt er weitere Morde mit Todesanzeigen samt Todesdatum an. Damit zieht der gerissene Killer, der sich nach griechischen Rachegöttinnen Eumenides nennt, die Polizei in ein teuflisches Spiel, dessen Regeln er diktiert.

Das ist die Ausgangslage in „18/4 – Der Hauptmann und der Mörder“, dem ersten Band einer spektakulären chinesischen Serienmörder-Trilogie von Zhou Haohui. Die weiteren Bände sind schon für Mai und September dieses Jahres angekündigt. Obwohl der Autor vor der Veröffentlichung der Romane von den chinesischen Zensurbehörden verlangte Änderungen vornehmen musste, geht es doch immer noch recht deutlich auch um grobe Fehler und Korruption bei der Polizei. Und auch um Privilegien reicher Chinesen. Bei Büchern, so sagte Zhou der „New York Times“, habe man da mehr Spielraum als etwa bei Filmen.

Leider wurde aber der direkte Einblick in die Lebenswelt der Chinesen nicht nur durch die politische Zensur eingeschränkt, sondern auch durch westliche Literaturagenten und Lektoren, die den Stoff auf eine internationale Vermarktung hin trimmten. So wurde sogar der Schauplatz von Yangzhou, der Heimatstadt des Autors, nach Chengdu, der Hauptstadt der Provinz Sichuan, verlegt, weil dieser Ort internationalen Lesern bekannter sei. Die so entstandene englische Fassung bildet nun die Vorlage für die Übersetzungen in weitere Sprachen; auch die deutsche Ausgabe basiert darauf.

Verbrechen und deren Aufklärung sind grundsätzlich durchaus universelle Themen, doch gute Kriminalliteratur lebt auch von der Verankerung in einem realen Umfeld, von den spezifischen Gegebenheiten des jeweiligen Kulturkreises. Wird der Inhalt für einen globalen Gebrauch geglättet, nimmt man dem Buch ein Teil dessen, was es einzigartig macht. Trotz allen Eingriffen funktioniert der erste Band der Trilogie als Thriller hervorragend. Die Jagd der Sondereinheit 18/4 auf den unheimlichen Killer, ist dank dem raffinierten Plot durchgehend spannend. Das macht Lust auf die weiteren beiden Teile.

Letztlich geht es in dem Roman darum, dass Verbrecher und Polizisten zwei Seiten derselben Medaille sind: „Ein guter Polizeibeamter und ein erfolgreicher Verbrecher teilen sich eine ganze Reihe von Charaktereigenschaften – einen scharfen Verstand, eine Veranlagung für akribisches Arbeiten, eine natürliche Risikobereitschaft und Wissensdurst.“

Wertung: 3,8 / 5

Zhou Haohui: 18/4 – Der Hauptmann und der Mörder
(Original: 死亡通知单 : 暗黑者 / Si wang tong zhi dan: an hei zhe. Beijing Times Chinese Press, Peking 2014)
Aus dem Englischen (nach der Übersetzung „Death Notice“ von Zac Haluza) von Julian Haefs
Heyne Verlag, München 2022. 398 Seiten, 13 Euro/ca. 20 Franken

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Bild: privat/PD

Zhou Haohui,

geboren 1977 in Yangzhou in der chinesischen Provinz Jiangsu, schloss 2003 sein Studium als Umweltingenieur an der Tsinghua-Universität in Peking ab. Anschliessend lehrte er fast zehn Jahre lang an einer Universität etwas ausserhalb Hauptstadt.

In seiner Freizeit schrieb er Geschichten und hängte sie an das Schwarze Brett der Universität. Ab 2005 publizierte er eine Romantrilogie um einen Kriminalpolizisten. 2012 ermöglichte ihm der Erfolg als Autor, den Schuldienst aufzugeben. Inzwischen hat er rund ein Dutzend Kriminalromane veröffentlicht sowie zwei kulinarische Bücher, eines davon über die Küche seiner Heimatregion. Er gilt als einer der drei bedeutendsten aktuellen Krimiautoren Chinas. Seine Trilogie um einen Killer, der sich Eumenides nennt, und den Polizeihauptmann Pei Tao, die er zunächst im Internet veröffentlichte und die erst nach dem Online-Erfolg ab 2014 in Buchform erschien, ist der bisher meistverkaufte Thriller in China. Eine darauf basierende Online-Serie in China wurde schon mehr als 2,4 Milliarden Mal angesehen. Da Zhou mit der Verfilmung nicht zufrieden war, begann er, sich in Filmproduktion und -regie auszubilden; inzwischen hat er selbst einen Online-Film realisiert.

Die Romanreihe stiess auf internationales Interesse und erschien unter dem Titel „Death Notice“ ab 2018 auf Englisch. Aus dem Englischen wurden die Romane zunächst auch ins Französische und nun ins Deutsche übertragen. Zhou Haohui lebt in seiner Heimatstadt Yangzhou.


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