Der erste Satz
Es war in der Nähe der 21st Street, drüben in den Ninth Avenue, einem jener verfallenen Chelsea-Strassenblocks, die aussehen, als wären sie in feuchten Russ getaucht worden, und abgesehen von ein paar trostlosen Bars mit eigensinnigen Schliesszeiten war der Waschsalon der einzige Ort, der geöffnet hatte.

Krimi der Woche ∙ N° 43/2022 ∙ Hanspeter Eggenberger

Es ist jedes Mal eine Freude, wenn ein neues dieser Taschenbücher mit dem Ausschnitt aus einer Dollarnote als Umschlaghintergrund, der immer in einem anderen Farbton gehalten ist, auf dem Tisch landet. Diese Covers sind das Kennzeichen der deutschsprachigen Ross-Thomas-Edition des Berliner Alexander Verlags. Geld ist denn auch das Thema, das alle diese Romane verbindet.

Der US-Amerikaner Ross Thomas (1926–1995) war Journalist, Public-Relations-Schreiber und Wahlkampfberater für Politiker, bevor er, bereits 40-jährig, Schriftsteller wurde. Erfahrungen aus diesem Berufsleben liess er in seine scharfsichtigen Politthriller einfliessen, aber auch in die witzigen Krimis, die er unter dem Pseudonym Oliver Bleeck publizierte.

Einer dieser Bleeck-Romane aus den Siebzigerjahren ist jetzt in neuer und erstmals vollständiger Übersetzung erschienen: „Das Procane-Projekt“. Protagonist der fünfteiligen Reihe ist der ehemalige Journalist Philip St. Ives, der inzwischen als Go-Between, als Mittelsmann, tätig ist. Er tritt in Aktion, wenn beispielsweise Diebesgut zurückgekauft oder ein Lösegeld bezahlt werden soll.

Hier ist es keine Versicherung, die seine Dienste benötigt, sondern ein Dieb. Abner Procane sieht sich selbst als besten Dieb der Welt. Er klaut nur Bargeld. Und nur von Leuten, die das nicht der Polizei melden können. Bestechungsgelder etwa, oder Bares aus illegalen Geschäften. Ihm sind die Planungsaufzeichnungen für seine Diebstähle gestohlen worden. Als St. Ives sie in seinem Auftrag zurückkaufen will, stösst er auf eine Leiche. Und deren wird es noch mehr geben. Offenbar wollen die Diebe den Millionenraub, den Procane als letzten Coup geplant hat, selbst durchziehen.

Daraus entwickelt sich eine verrückte Geschichte, bei welcher der schlagfertige und oft etwas dandyhaft wirkende St. Ives weiter aktiv mitmischt. Sein Verlangen, dem Meisterdieb beim Stehlen zuzusehen, sei wohl „ebenso gross wie seines, es zu tun“, muss er sich eingestehen. Was Ross Thomas Gelegenheit gibt, seinem Helden etwas von seinem Blick auf sein ehemaliges Gewerbe in den Mund zu legen: „Alle Journalisten haben etwas Voyeuristisches an sich, selbst jene, die aus dem Beruf aussteigen, um sich Besserem zu widmen, wie zum Beispiel Unterschlagung, Wucherei oder Public Relations.“

Diese Art von trockenem, oft sarkastischem Humor prägt die meisten Romane von Ross Thomas und macht sie zu einem Lesevergnügen. „Das Procane-Projekt“ ist bereits der 22. Titel der deutschen Werkausgabe. Dass nun nur noch drei Romane ausstehen, lässt fast etwas Wehmut aufkommen.

Wertung: 4 / 5

Ross Thomas: Das Procane-Projekt
(Original unter dem Pseudonym Oliver Bleeck: The Procane Chronicle. William Morrow and Company, New York 1971)

Aus dem Englischen von Katja Karau und Gisbert Haefs
Alexander Verlag, Berlin 2022. 256 Seiten, 15 Euro/ca. 24 Franken

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Bild: Patricia Willams

Ross Thomas,

geboren 1926 in Oklahoma City, gestorben 1995 in Santa Monica, Kalifornien, war im Zweiten Weltkrieg als Soldat auf den Philippinen. Er arbeitete unter anderem als Journalist in den USA, in Deutschland und in Nigeria. In den 1950ern baute er in Bonn das Büro des amerikanischen Radiosenders AFN auf. Später war er PR- und Wahlkampfberater für Politiker wie Lyndon B. Johnson sowie Gewerkschaftssprecher.

Erst mit 40, nach jahrelangen intimen Einblicken in den Politbetrieb, begann er mit dem Schreiben von Politthrillern. Für seinen ersten Roman „The Cold War Swap“ („Kälter als der kalte Krieg“) wurde er 1967 mit dem Edgar Allen Poe Award für den besten Erstling ausgezeichnet; einen weiteren Edgar erhielt er 1985 für „Briarpatch“ („Dornbusch“). Von 1966 bis 1994 schrieb Thomas 25 Politthriller und Kriminalromane, darunter unter dem Pseudonym Oliver Bleeck fünf Romane um den Go-Between Philip St. Ives. Ab 1982 schrieb er auch Drehbücher für TV-Serien.

Alle Romane von Ross Thomas, die ursprünglich auf Deutsch oft nur stark gekürzt herausgegeben worden sind, erscheinen seit 2005 im Berliner Alexander Verlag in einer originalgetreuen deutschen Werkausgabe. Der jetzt neu erschienene Roman „Das Procane-Projekt“ ist bereits der 22. Band dieser verdienstvollen Werkausgabe.

Von 1975 bis zu seinem Tod als Folge von Lungenkrebs zwei Monate vor seinem 70. Geburtstag lebte Ross Thomas mit seiner zweiten Frau im Strandort Malibu bei Los Angeles.


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