Gewalt, Leidenschaft und der Pazifikkrieg

Der erste Satz
Joe McGrady betrachtete seinen Whiskey.

Krimi der Woche ∙ N° 14/2023 ∙ Hanspeter Eggenberger

Die Geschichte beginnt mit der wie ein Tier im Schlachthaus ausgeweideten Leiche eines jungen Mannes am Thanksgiving-Wochenende 1941. Es ist der erste Mordfall für Detective Joe McGrady vom Honolulu Police Departement. Bei der Untersuchung des Fundorts stösst der ehemalige Army-Offizier auch noch auf die Leiche einer jungen Asiatin. Der Fall erweist sich als brisant: Der tote Mann ist der Neffe von Admiral Kimmel, dem Kommandanten der amerikanischen Pazifikflotte, die mitten in Vorbereitungen für den drohenden Krieg steckt. Er studierte Japanisch und hatte eine Geheimdienstkarriere im Sinn.

Von Anfang an verbindet James Kestrel in seinem virtuosen Thriller „Fünf Winter“ den Mordfall, der möglicherweise politische Implikationen hat, mit dem Zweiten Weltkrieg im Pazifik. Die Geschichte beginnt kurz vor dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor und dauert bis zum Kriegsende. Ebenso ziehen sich romantische Beziehungen über die Fronten hinweg durch den Roman. Die tote Asiatin, eine Japanerin, war die Freundin des Neffen des Admirals.

McGrady findet rasch eine Spur des Mörders. Die führt nach Hongkong. McGradys Chef, Captain Beamer, will ihn zwar an der kurzen Leine halten, doch Admiral Kimmel besteht darauf, dass er die Spur verfolgt. In Hongkong gerät der inoffiziell ermittelnde Detective jedoch in eine Falle und wird verhaftet. Während er in einer Zelle steckt, überfallen die Japaner Pearl Harbor. Und Hongkong. Der Zweite Weltkrieg hat die Pazifikregion erreicht. Die Japaner deportieren McGrady mit anderen westlichen Kriegsgefangenen nach Japan.

Überraschend wird er dort aus dem Gefängnis gebracht. Und der verbringt die Zeit bis zum Kriegsende im Haus eines hohen Beamten, der an der Lösung des Mordfalls in Hawaii genauso interessiert ist wie der Onkel des jungen Mannes. Der Japaner ist der Onkel der in Hawaii getöteten jungen Frau.

„Fünf Winter“ besticht durch einen starken Plot, in den die Kriegswirren im Pazifik und politische Hintergründe ebenso überzeugend verwoben sind wie eine hoch emotionale Liebesgeschichte. Brutalität, Ermittlungsarbeit und Romantik werden erzählerisch in allen Stufen zwischen poetisch und knallhart gemeistert. So fesselt der Roman auf 500 Seiten vom Anfang bis zum Ende ohne jeden Durchhänger. Dies ist zwar der erste Roman von James Kestrel, doch der ist ein Profi: Kestrel ist ein Pseudonym von Jonathan Moore, der bereits ein halbes Dutzend Kriminalromane veröffentlicht hat; 2022 ist „Poison Art“ (> krimikritik.com-Review) aus dem Jahr 2016 auf Deutsch erschienen.

Im neuen Noir-Thriller nimmt McGrady nach dem Krieg die Ermittlungen in dem alten Fall wieder auf. Und die Geschichte führt ihn im fünften Winter nach den Morden erneut von Honolulu nach Hongkong und weiter nach Japan. Ein grandioses Epos über Gewalt und Leidenschaft.

Wertung: 4,6 / 5

James Kestrel: Fünf Winter
(Original: Five Decembers. Hard Case Crime, New York 2021)
Aus dem Englischen von Stefan Lux
Suhrkamp, Berlin 2023. 499 Seiten, 20 Euro/ca. 27 Franken

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Bild: Maria Wang

James Kestrel

ist ein Pseudonym von Jonathan Moore, der auch unter seinem bürgerlichen Namen Bücher veröffentlicht. Er ist 1977 geboren, arbeitete als Englischlehrer, River-Rafting-Führer auf dem Rio Grande, Betreuer in einem Wildniscamp für jugendliche Straftäter in Texas und als Ermittler für einen Strafverteidiger in Washington DC. Drei Jahre lebte er in Taiwan, wo er Mandarin studierte, in einem Kindergarten arbeitete und ein mexikanisches Restaurant betrieb, bevor er an der Tulane Law School in New Orleans Rechtswissenschaften studierte und 2007 magna cum laude graduierte.

Sein erster Roman „Redheads“ erschien 2013. „The Poison Artist“, im Original erschienen 2015, war sein dritter Roman und sein erstes Buch, das ins Deutsche übersetzt wurde („Poison Artist“, Suhrkamp, 2022). Als Jonathan Moore hat er bisher sechs Romane veröffentlicht. „Blood Relations“ (2019) war für den Edgar Award und für den Hammett Prize nominiert. „Five Decembers“ (jetzt als „Fünf Winter“ auf Deutsch erschienen), ist sein erster Roman unter dem Pseudonym James Kestrel. Er erschien in den USA im Kultverlag Hard Case Crime von Charles Ardai. Er wurde 2022 mit dem Edgar Award für den besten Krimi und dem Barry Award für den besten Thriller ausgezeichnet.

Jonathan Moore ist verheiratet mit Maria Wang und lebt mit seiner Familie in Volcano Village auf Hawaii, wo er, wenn er nicht schreibt oder an seinem Boot arbeitet, seit rund 15 Jahren als Anwalt tätig ist. Er ist Partner der Kanzlei Kobayashi Sugita & Goda in Honolulu und befasst sich mit komplexen Rechtsstreitigkeiten in den Bereichen Handel, Immobilien, Vertragsstreitigkeiten, Einhaltung von Umweltvorschriften, öffentliche Aufträge und mit allgemeinen Rechtsstreitigkeiten.


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