Ein Doppelagent soll sich selbst suchen

Der erste Satz
Eberlin ass wie gewöhnlich allein.

Krimi der Woche ∙ N° 10/2024 ∙ Hanspeter Eggenberger

London in den Swinging Sixites. Alexander Eberlin, der in Oxford studiert hat, arbeitet beim Geheimdienst. Er ist ein Einzelgänger. Pflegt einen exquisiten Lebensstil. Trägt massgefertigte Anzüge. Fährt einen Maserati Mistral (der im Buch allerdings aus unerfindlichen Gründen „Mistrale“ genannt wird). Er ist ein Dandy. Doch eigentlich ist er gar kein Engländer. Heisst nicht Eberlin sondern Krasnevin. Und ist ein sowjetischer Agent. Er ist „ein Dandy in Aspik“.

„A Dandy in Aspic“ war 1966 der erste Roman des damals 28-jährigen Briten Derek Marlowe. Der Kalte Krieg war in dieser Zeit wirklich eiskalt. Und der aussergewöhnliche Spionageroman wurde ein riesiger Erfolg, zuerst in Grossbritannien, dann auch in den USA und in mehr als einem Dutzend weiterer Sprachen. 1968 wurde er von Anthony Mann verfilmt, Marlowe selbst schrieb das Drehbuch.

Schon 1967 war „Ein Dandy in Aspik“ auch auf Deutsch erschienen. Wie auch im englischen Sprachraum ging das Werk indes bald vergessen. In England wurde der Roman 50 Jahre nach der Erstveröffentlichung auf Initiative von Marlowes Sohn neu aufgelegt. Auf Deutsch gibt es ihn erst jetzt wieder, herausgegeben von Martin Compart, in der damaligen Übersetzung von Erika Nosbüsch, die sich heute noch picobello liest.

Und die Story hat es in sich. Im britischen Geheimdienst tut Eberlin zwar vor allem Schreibtischdienst. Als Krasnevin liefert er nicht westliche Geheimnisse nach Moskau, sondern schaltet wichtige britische Agenten aus. Drei Agenten, die an einem bedeutenden Projekt arbeiteten, wurden ermordet, die britische Geheimdienstspitze ist beunruhigt. Und beauftragt Eberlin, den Mörder, der sich derzeit in Berlin aufhalten soll, zu suchen. Es handle sich um den geheimnisvollen Sowjet-Agent Krasnevin. Sie haben auch ein Bild von ihm, das sie Eberlin/Krasnevin zeigen – die Aufnahme zeigt Krasnevins Führungsoffizier. Der eben Krasnevins Wunsch, in die Sowjetunion heimkehren zu dürfen, abgelehnt hat.

In Berlin treibt sich Eberlin, der sein Alter Ego suchen soll, herum und schickt nichtssagende Berichte nach London. Und bemüht sich darum, sich in die DDR abzusetzen. Nachdem er abgewiesen wird, sucht er sich ironischerweise Hilfe bei Kreisen, die sonst Leute aus der DDR nach Westberlin schmuggeln, um für ihn das Umgekehrte zu tun.

In einer Zeit, in der der britische Superagent James Bond Furore machte, einen russischen Agenten, der englische Spione abserviert, zum Protagonisten zu machen, war eher gewagt. Auch für den Verleger war überraschend, wie gut der Roman beim Publikum trotzdem ankam. Das lag – und liegt – zum einen sicher am cleveren Plot. Zum anderen aber auch an der lakonischen Erzählweise, dem trockenen Humor – und gelegentlichen ironischen Bezügen zu den Spionageromanen mit den gewohnten Konstellationen.

Noch ein witziges Detail: Den einzelnen Kapiteln sin jeweils ein oder zwei Zitate vorangestellt. Die meisten sind nicht von irgendeinem Dichter oder gelehrten Kopf – sondern von Alexander Eberlin. Darunter sind Perlen wie:

Frauen sind wirklich aussergewöhnliche Wesen. Nehmen Sie nur die sechste Frau Heinrichs des Achten. Ich mein, die Frau war entweder eine überragende Optimistin oder sie hat nie die Hofnachrichten gelesen.

Oder:

Das Leben ist für mich wie eine Tapete. Man braucht lange, bis man sich daran gewöhnt hat, und wenn es endlich so weit ist, merkt man nicht mehr, dass sie da ist. Und dann hört man, dass der Tapezierer kommt.

Wertung: 4,4 / 5

Derek Marlowe: Ein Dandy in Aspik
(Original: A Dandy in Aspic. Victor Gollancz, London 1966)
Aus dem Englischen von Erika Nosbüsch. Mit Nachworten von Martin Compart und Rolf Giesen
Elsinor Verlag, Coesfeld 2024. 256 Seiten, 22 Euro/ca. 32 Franken
(Deutsche Erstausgabe: Verlag Kurt Desch, München 1967)

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Bild: Paul Gallagher / Wikimedia (CC BY-SA 3.0)

Derek Marlowe,

geboren 1938 in Perivale, einem Vorort von London, gestorben 1996 in Los Angeles, studierte englische Literatur am Queen Mary College der University of London, ohne das Studium abzuschliessen. Er gehörte 1960 zu den Gründern einer halbprofessionellen Theatergruppe und spielte in der Aufführung von Tennessee Williams’ Stück „Summer and Smoke“ am Edinburgh Fringe Festival die Hauptrolle.

„A Dandy in Aspic“ war 1966 sein erster – und erfolgreichster – Roman. Es folgten bis 1982 acht weitere Romane. Zuvor hatte er mehrere Theaterstücke geschrieben. 1968 schrieb er das Drehbuch für „A Dandy in Aspic“ für die Verfilmung durch dem amerikanischen Regisseur Anthony Mann, der vor allem für seine Western (darunter etwa „The Man from Laramie“) berühmt ist. In der Folge schrieb Marlowe zahlreiche Drehbücher für Film und Fernsehen. 1989 zog er dafür nach Los Angeles.

In Kalifornien erkrankte er an Leukämie. Nach einer Lebertransplantation starb er am 14. November 1996 im Alter von 58 Jahren in Los Angeles an einer Gehirnblutung. Zu dieser Zeit hatte er geplant, nach England zurückzukehren, um seinen zehnten Roman, „Black and White“, fertigzustellen.


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