Brutal, aber auch brutal witzig

Der erste Satz
Der erste Haken an der Sache zeigte sich sofort.

Krimi der Woche ∙ N° 24/2025 ∙ Hanspeter Eggenberger

Wegen illegalen Wetten ist der Baseballspieler Pete Halliday aus der Profiliga geflogen. Er ist nach New Orleans gezogen und steht da wieder vor seinem alten Problem: Woher soll das Geld kommen, um seine Spielschulden zu begleichen, bevor sein Buchmacher ihn endgültig aus dem Spiel nimmt. Und er träumt davon, hier im Big Easy einen Po’-Boy-Sandwichladen aufzumachen. „Der einzige Weg, wie ich meine Träume würde wahr machen können, hatte bestimmt nichts mit legalen Mitteln zu tun. Die Menge Geld, die ich dafür brauchte, hatte nur ein Verbrecher zu Verfügung, und das war einer der Hauptgründe, warum ich mich eher abseits des Gesetzes umgesehen habe. Außerdem hat es Spaß gemacht.“

Pete ist der Icherzähler in der Noir-Groteske „Das grenzgeniale Pseudo-Kidnapping“ von Les Edgerton (1943–2023), von dem uns der Verlag Pulp Master 2024 den kompromisslos puren Noir „Primat des Überlebens“ beschert hat. Auch in der Kidnapping-Geschichte reitet sich der Protagonist stetig tiefer in die Scheisse. Doch hier wird die Düsternis erhellt durch den eher derben Humor des äusserst mitteilsamen Ex-Baseballers. Pete findet sich ganz toll, und er legt das gerne grossmäulig dar, gewürzt mit reichlich flotten Sprüchen. Nur zwischendurch kommen ihm Zweifel an sich und vor allem an seiner Zukunft, die er aber sogleich routiniert überspielt. Genauso hält er es auch mit den zunehmend aufkommenden Gefühlen gegenüber einer ziemlich patenten Kellnerin und Teilzeitprostituierten, bei der er auf der Flucht vor Buchmachern und Mafiosi Zuflucht findet.

Da es Pete an tauglichen Ideen für die kriminelle Geldbeschaffung mangelt, tut er sich dafür mit seine Kumpel Tommy LeClerc zusammen, über den er zwar frotzelt, dass bei ihm „fast immer die Hälfte gelogen war und der Rest meistens nicht stimmte“, und dass er, „was seine kriminellen Fähigkeiten anging, ungefähr so hell war wie eine 15-Watt-Birne mit Fliegenschiss drauf“. Tommy sieht sich als clevere „Rothaut“, auch wenn sein indigener Anteil nur klein sein dürfte. „Vergiss nicht: In diesen Adern fließt Indianerblut. Indianer sind gut darin, der Falle des weißen Mannes zu entwischen,“ behauptet er, als die beiden wieder einmal tief in Schwierigkeiten stecken. Pete ist skeptisch: „Ich stöhnte auf. Mit fielen nur die ungefähr tausend John-Wayne-Filme ein, die alle das gleiche Ende nahmen für die unwahrscheinlich cleveren Indianer.“

In diesem – politisch praktisch immer nicht sehr korrekten – Stil geht das über rund 360 manchmal etwas gar geschwätzige Seiten. Tommy heckt bizarre Entführungspläne aus. Als Höhepunkz wollen sie sich einen New-Orleans-Mafiosi schnappen, ihm eine Hand absägen und ihm diese – damit er sie wieder annähen lassen könne – gegen ein Millionen-Lösegeld zurückgeben.

Wenn dann alles den Bach runter gehen würde, stellt sich Pete vor, müsste er sehr weit von Louisiana sein Glück versuchen. „Ich fantasierte vor mich hin, wie ich von Stadt zu Stadt ziehen und schließlich in Montana landen würde, wo ich mir ein Mädel aus den Bergen anlachte, das sich weder unter den Armen noch sonstwo rasiert, mich Zuckerschnute nennt und mir Berge von Schokoladenkeksen backt, eine blau karierte Schütze trägt und nichts darunter.“

Auch wenn – oder vielleicht gerade weil – Petes Fabulierlust zuweilen ebenso ausufert wie die brutale Action und die Situationskomik, ist „Das grenzgeniale Pseudo-Kidnapping“ – jedenfalls für jene, die nicht gleich in Schnappatmung verfallen, wenn die political correctness laufend in Wild Turkey ersäuft wird – eine vergnügliche Lektüre. Die bei allem Klamauk auch mal ins leicht Philosophische kippt, das aber gleich sarkastisch gebrochen wird. „Ich wusste nicht, welche Regung bei ihr die Oberhand behielt, Liebe oder Geldgier. Ich hoffte, dass es Geldgier war – denn die war berechenbar. Gott sei Dank gab es noch die alten Werte.“

Wertung: 3,8 / 5

Les Edgerton: Das grenzgeniale Pseudo-Kidnapping
(Original: The Genuine, Imitation, Plastic Kidnapping. Down & Out Books, Tampa FL 2014)
Aus dem Englischen von Stefan Rohmig
Pulp Master, Berlin 2025. 366 Seiten, 16 Euro/ca. 23 Franken

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Bild: Pulp Master

Les Edgerton,

geboren 1943 in Odessa, Texas, gestorben 2023 in Fort Wayne, Indiana, war vier Jahre bei der US Navy. Wegen Einbruchs, bewaffneten Raubüberfalls und versuchter Hehlerei sass er in den 1960er Jahren zwei Jahre in der Strafanstalt von Pendleton, Indiana. „Jetzt bin ich sauber, und Sie können mich zu sich nach Hause einladen, ohne dass Sie das Silberbesteck zählen müssen, wenn ich gehe“, schrieb er selbstironisch in seinem Blog.

Nach dem Gefängnisaufenthalt studierte er an der Indiana University, wo er mit einem BA in General Studies (Honors of Distinction) abschloss, bevor das Vermont College mit einem MFA in Writing abschloss. Er hat rund zwanzig Bücher veröffentlicht, lehrte kreatives Schreiben an der Universität und gab Privatunterricht für Schriftsteller. Er schrieb auch Drehbücher und Kurzgeschichten. Auf Deutsch sind bei Pulp Master vor „Das grenzgeniale Pseudo-Kidnapping“ schon „Der Vergewaltiger“ (2016) und „Primat des Überlebens“ (2024) erschienen.

Mit seiner Frau Mary lebte Edgerton – der aus einer früheren Ehe zwei Töchter hat – in Fort Wayne im US-Bundesstaat Indiana. Er starb im August 2023 an einer Covid-19-Erkrankung. Kurz zuvor war sein und Marys Sohn Mike mit 33 Jahren an einem Herzinfarkt verstorben.


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