Philosophie des Stehlens
Der erste Satz
Wir hatten keine Ahnung, wie es dazu gekommen war, aber als wir aufwachten, lag vor dem Hotel ein totes Pferd auf der Straße.
Krimi der Woche ∙ N° 26/2025 ∙ Hanspeter Eggenberger
Rick ist ein Einbrecher. Ein Profi. Ein Mann, dem er verpflichtet ist, sagt ihm, wo er was stehlen soll. Zusammen mit seinem Partner Frank, der sich um Alarmanlagen und Überwachungskameras kümmert und sich auch mal in die Webaccounts der Opfer hackt, zieht Rick los. „Wir waren Diebe. Wir haben alles gestohlen, Gemälde, Autos, Münzen, Waffen, Zimmerpflanzen, egal. (…) Wir haben nie etwas für uns gestohlen. Immer nur im Auftrag. Wenn irgendwer meinte »Das brauche ich«, sind wir losgezogen und haben es besorgt.“
Rick ist der Erzähler im aussergewöhnlichen Noir-Krimi „Just Thieves“ von US-Autor Gregory Galloway, der jetzt unter dem Titel „Die Verpflichtung“ auf Deutsch erschienen ist. Rick und Frank sind ehemalige Drogensüchtige, die sich an NA-Meetings kennengelernt haben. Frank ist der Intellektuelle des Duos, ehemaliger Lehrer, vertraut mit digitalen Technologien. Und ein Philosoph, sehr belesen. Rick hat die Ausbildung mit 19 geschmissen, als er Vater wurde. Sein Vater war beim städtischen Bauamt, wo die Korruption gedieh. Zu den Männern, die mit Bargeld in Umschlägen zu ihm kamen, gehörte Froehmer. Nun ist Froehmer Ricks Auftraggeber, nachdem er dem Junior in Notlagen geholfen hat.
Die Geschäfte von Rick und Frank für Froehmer laufen weitgehend reibungslos. Bis eines Tages, als sie eine materiell kaum wertvolle Trophäe aus einem Haus klauen sollen, alles schief zu laufen beginnt. Dann ist Frank plötzlich verschwunden. Rick wartet vergeblich auf ihn. Keine Reaktion auf seine Anrufe. Froehmer verspricht nachzuforschen. Und meldet dann, Frank seit tot. Eine Überdosis. Rick glaubt das nicht und beginnt selbst, dem Tod seines Partners nachzugehen.
Wie die Partnerschaft der beiden über die „Arbeit“ hinaus war, erzählt Rick nicht. Nur einmal, nachdem Rick von Franks Tod erfahren hat, zeigt sich, dass es eine enge Beziehung gewesen sein muss. „Franks Leben und mein Leben waren so verflochten gewesen, dass sie sich nicht wieder trennen ließen. (…) Ich hatte alles verloren und wusste nicht, was ich tun sollte. (…) Ich konnte mich nicht in unser Bett legen. Die Bettwäsche roch noch nach ihm, selbst nach der dritten und vierten Wäsche.“
Die Erzählung ist nicht linear, hüpft hin und her zwischen dem aktuellen Geschehen und früheren Episoden. Wobei Rick nicht der zuverlässigste Erzähler ist, vieles wird nur angetönt, manches ganz verschwiegen. Dafür gibt es immer wieder Rechtfertigungen für die Raubzüge. „Wir alle stehlen irgendwas, so sind wir nun mal“, heisst es einmal. Oder: „Wir sind alle geborene Diebe. Eva und der Apfel und so. (…) Museen sind voll von Diebesgut, lauter Dinge, die den antiken Zivilisationen gestohlen wurden. (…) Ganze Länder sind gestohlen worden.“ Und immer wieder wird es, meist unter dem Einfluss von Frank, so richtig philosophisch: „Nichts gehört irgendwem, alles wird immer nur weitergereicht, auch wenn wir nicht mehr da sind. Das, was einem Gegenstand Wert und Geschichte verleiht und was bleibt, ist das Gestohlenwerden.“ Frank weist auch gerne darauf hin, dass die „Dinge, die keinen Wert haben“, die wertvollsten seien. Das meiste, was einen materiellen Wert hat, könne man auch noch mal kaufen, aber: „Dinge, die nur dir etwas bedeuten, die sind am wertvollsten.“
Franks Blick auf die Welt prägt Ricks Erzählungen immer wieder, während er selbst in einer Noir-typischen Abwärtsspirale steckt. Die Welt sei eine Falle, habe Frank gern gesagt, „und je besser man versteht, wie die Falle gebaut ist, desto besser kann man sie vermeiden“. Der Ex-Drogensüchtige hilft nicht nur Rick bei seinen Diebeszügen, sondern jenen, die, wie sie beiden, die Sucht hinter sich lassen wollen. Denen erklärte er, dass wie Welt darauf angelegt sei, „Menschen zu Süchtigen zu machen; man schafft eine stressreiche Umgebung und trichtert den Leuten dann ein, Entspannung kaufen zu können, sei es durch Alkohol, Sex, Fernsehen, Essen, Drogen, einkaufen. Komaglotzen, Komafressen, Komashoppen, alles vermarktet und gefeiert, und dann für die schlechtgemacht, die süchtig danach werden.“ Daraus schloss Frank: „Sie stellen Fallen auf und geben dir dann die Schuld, wenn du hineintappst.“
Ricks Diebesgeschichten sind der Rahmen für ein existenzielles Lebensdrama der düsteren Sorte. Und für eine eigentliche Philosophie des Stehlens, die in einen illusionslosen Blick auf eine kapitalistische Gesellschaft, die im Wesentlichen auf Lug und Trug basiert, mündet.
Wertung: 4,3 / 5
Gregory Galloway: Die Verpflichtung
(Original: Just Thieves. Melville House, New York 2021)
Aus dem Englischen von Karen Witthuhn. Mit einem Nachwort von Jon Bassoff
Polar Verlag, Stuttgart 2025. 280 Seiten, 17 Euro/ca. 25 Franken
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Bild: Gina Maolucci / Polar Verlag
Gregory Galloway,
geboren 1962 im Kleinstädtchen Keokuk im Südosten des US-Bundesstaates Iowa und dort aufgewachsen, wollte schon Autor werden, als er während der Pubertät die Keokuk High School besuchte. Später besuchte er den renommierten Iowa Writer’s Workshop der University of Iowa in Iowa City, den er mit einem MFA sowohl in Belletristik wie in Lyrik abschloss. Neben dem Studium arbeitete er in einem Plattenladen in der Innenstadt.
Sein Interesse an Musik spielte eine wichtige Rolle in seinem ersten Roman „As Simple as Snow“ (2005), einem Krimi über eine Goth-Teenagerin, die mitten in einem kalten Winter verschwindet. Sein zweiter Roman, „The 39 Deaths of Adam Strand“ (2013), erzählt von einem Sommer im Leben eines Jungen, der, egal wie sehr er sich auch bemüht, nicht sterben kann. „Just Thieves“ (2021), jetzt als „Die Verpflichtung“ auf Deutsch vorliegend, ist sein dritter Roman. Seine Kurzgeschichten erschienen in verschiedenen Anthologien und in einem eigenen Buch unter dem Titel „Careful & Other Stories“ (2011).
Nachdem er eine Zeitlang im Nordwesten von Connecticut ansässig war, lebt Gregory Galloway nun mit seiner Frau in Hoboken, New Jersey.