Culture Clash in Oxford

Der erste Satz
Vom Sicherheitsstandpunkt war Barnabas Hall ein Desaster, jeder sagte das.

Krimi der Woche ∙ N° 27/2025 ∙ Hanspeter Eggenberger

Barnabas Hall in Oxford ist eines der Colleges, das beispielsweise zukünftige britische Regierungsmitglieder besuchen. Ein rätselhafter Mord an einem November-Abend stört jetzt die heile Welt der noblen Bildungsinstitution. Während der Provost der Uni einen arabischen Scheich hofiert, von dem man sich Millionen für ein neues Institut erhofft, wird im Büro des Uni-Leiters eine junge Frau ermordet. Niemand kennt das Opfer oder will es kennen.

Wegen einer Verwechslung wird dies zum ersten Fall von DI Ryan Wilkins, der eben nach Oxford strafversetzt wurde, nachdem er sich an seinem vorherigen Arbeitsort mit einem Bischof angelegt haben soll. Ryan Wilkins stammt aus Oxford, ist in einer White-Trash-Familie in einem Trailerpark aufgewachsen und hat sich mit Bestleistungen auf der Polizeischule hochgearbeitet. Für den Mord an der Uni hätte eigentlich DI Ray Wilkins angerufen werden sollen, der aus einer wohlhabenden britisch-nigerianischen Familie stammt und selbst in Oxford studiert hat.

„Ein Mord im November“, der erste Erwachsenenkrimi des englischen Kinder- und Jugendbuchautors Simon Mason („Die Quigleys“), lebt zu einem wesentlichen Teil vom Aufeinandertreffen der beiden Detective Inspectors, die fast gleich heissen, aber unterschiedlicher kaum sein könnten. Zwischen den beiden Wilkins’ gibt es einen eigentlichen Culture Clash. Ryan ist zwar schlau und gut in seinem Job, doch er kleidet sich wie ein Jugendlicher und hat die Manieren eines Prolls, die er auch gerne effektvoll heraushängen lässt. Ray ist gebildet, elegant gekleidet, weiss sich in besserer Gesellschaft angemessen zu benehmen und ist im Job sehr ehrgeizig. Im Gegensatz zu Ryan käme es Ray nie in den Sinn, den Uni-Provost als „dreckige Sau“ zu bezeichnen, auch wenn diese Charakterisierung durchaus zutrifft.

So wird Ryan nach seinem früheren Zwischenfall mit dem Bischof auch an seinem neuen Arbeitsort rasch mit Beschwerden und internen Ermittlungen eingedeckt. Und die Chefin überträgt die Leitung des Falls an ihren Lieblings-DI Ray Wilkins. Wobei sie von den Resultaten des DI Ryan Wilkins zunehmend angetan zu sein scheint. Den Mordfall lösen Ryan und Ray schliesslich gemeinsam.

Der geschickt geplottete Fall gibt Simon Mason vor allem die Gelegenheit, das überhebliche Getue vieler Exponenten der englischen Oberschicht elegant auf die Schippe zu nehmen. Gleichzeitig geht es aber auch um echte soziale Konflikte. Einerseits manifestieren die sich in Ryans Familie, anderseits gibt es in einem Unterschichtsviertel Krawalle, nachdem ein Jugendlicher von einem Einsatzwagen der Polizei zu Tode gefahren wurde.

„Ein Mord im November“ ist der Auftakt einer Serie um DI Ryan Wilkins; im Original liegen bereits vier Bände vor. Die Konflikte zwischen den beiden ungleichen Wilkins’ kommen nicht ganz klischeefrei daher, doch der Roman verbindet einen durchaus spannenden Mordfall mit sozialen Gegensätzen zu gescheiter Unterhaltung, die vor allem durch reichlich trockenen Humor getragen wird. Ob sich das über mehrere Bände fortsetzen lässt, wird sich zeigen. Gerne lesen wir mehr markige Beschreibungen von Ryan, wie etwa wenn er der Chefin die Studenten, die dem arabischen Scheich ihre nackten Hintern entgegenstreckten als „Witzbolde“ beschreibt, „die Streiche spielen. Autos auf Tischen, mit lateinischen Sprüchen auf dem Dach. Arschblecken. Zukünftige Premierminister eben.“

Wertung: 4 / 5

Simon Mason: Ein Mord im November
(Original: A Killing in November. Riverrun, London 2022)
Aus dem Englischen von Sabine Roth
Goldmann, München 2025. 397 Seiten, 17 Euro/ca. 25 Franken

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Bild: Kate Manning / Penguin Random House

Simon Mason,

geboren 1962 in Sheffield, West Riding, Yorkshire, England, Sohn eines Profifussballers aus den 1950er und 1960er Jahren, studierte Englisch an der Lady Margaret Hall in Oxford.

Seit 1990 veröffentlichte er zahlreiche Kinder- und Jugendbücher, von denen mehrere auch ins Deutsche übersetzt wurden. Bekannt ist vor allem die Reihe über die Quigley-Familie. Parallel arbeitete er für verschiedene Verlage, darunter Oxford University Press und Thames and Hudson; von 2012 bis 2018 war er Geschäftsführer von David Fickling Books. Er hat zudem an der Oxford Brookes University unterrichtet, wo er Fellow für Kreatives Schreiben ist. Von 2021 bis 2023 war er Royal Literary Fund Fellow am Exeter College in Oxford.

„A Killing in November“ – jetzt auf Deutsch vorliegend („Ein Mord im November“) – war 2022 sein erster Roman für Erwachsene. Bisher sind in England bereits drei weitere Roman um DI Ryan Wilkins erschienen.

Simon Mason lebt mit seiner Frau in Oxford.


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