Wer kann dem Rächer entkommen?

Der erste Satz
Phillip Longman wurde von dem Geräusch des splitternden Glases nicht geweckt, denn dafür hätte er schlafen müssen.

Krimi der Woche ∙ N° 28/2021 ∙ Hanspeter Eggenberger

Es ist eine brutale Hinrichtung, da sind sich die Ermittler um Detective Chief Inspector Joelle Levy einig, als sie vor der Leiche des pensionierten Richters Longman stehen. Es liegt also nahe, den Täter bei den früheren Fällen des Opfers zu suchen. Bald ist der wahrscheinliche Rächer identifiziert, und Detektivin Levy von New Scotland Yard eröffnet die Jagd auf ihn. Dabei ist die TV-Reporterin Sarah Truman eine Verbündete. Doch dann wird ein ehemaliger Polizeidetektiv genau gleich getötet. Dem Verlobten der TV-Frau, dem Anwalt Michael Devlin, ist sofort klar, wer der Täter sein muss: ein psychopathischer Gewalttäter, an dessen Verurteilung auch er beteiligt war. Und dessen Feldzug ist noch längst nicht zu Ende.

„Der Rächer“ ist der zweite Thriller des Briten Tony Kent. Parallel zur Geschichte um den grausamen Rächer erzählt der Londoner Strafrechtsanwalt auch vom schwierigen Gerichtsfall, in dem Kronanwalt Devlin, der ein bisschen das Alter Ego des Autors zu sein scheint, gleichzeitig engagiert ist. Er verteidigt im Prozess um einen Mord an zwei Gangstern einen jungen Mann, der bei dem äusserst blutigen Verbrechen einer der Täter gewesen sein soll.

Der Kronanwalt setzt alles daran, den Mann, den er für unschuldig hält, da rauszuhauen. Dafür ist ihm fast jedes Mittel recht. „Er wurde weit mehr davon motiviert, das Richtige zu tun, als sich an die Regeln zu halten, wenn sie das verhinderten“, heisst es einmal. „Es war eine sehr riskante Art und Weise, seinen Job zu erledigen, die ihn häufig an den Rand der Legalität gebracht hatte.“

Mit mehreren Hauptfiguren – Anwalt Devlin, Polizistin Levy und Journalistin Truman – baut Kent einen Plot, der die Geschichte gleichzeitig zum Justizthriller und Polizeiroman macht. Das erklärt zum einen die Länge des Romans von gegen 600 Seiten. Zum anderen ist der Umfang auch der zuweilen etwas weit gehenden Detailversessenheit des Autors geschuldet. Vor allem bei juristischen Abläufen will er als Anwalt offenbar besonders akkurat sein. Manchmal aber auch, wenn er Banales wie eine Türe oder einen Lift mit jeweils mehreren Sätzen beschreibt.

Je weiter die spannende Geschichte fortschreitet, umso mehr Fahrt nimmt sie auf. Es gibt reichlich Action. Die Story nimmt verschiedene Wendungen, die durchwegs schlüssig sind. Streckenweise fühlt man sich jedoch in eine Art Superman-Geschichte versetzt, die immer ernsthaft, ohne jedes Augenzwinkern serviert, wird. Wenigstens gelingt dem scheinbar unbesiegbaren Alleskönner Devlin am Ende dann doch nicht alles so, wie er es sich vorgestellt hat.

Wertung: 2,8 / 5

Tony Kent: Der Rächer
(Original: Marked for Death. Elliot & Thompson, London 2019)
Aus dem Englischen von Wolfgang Thon
Heyne, München 2021. 575 Seiten., 14,99 Euro/ca. 23 Franken

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Bild: Neil Spence

Tony Kent

ist das Pseudonym des bekannten Londoner Strafrechtsanwalts Tony Wyatt. Er wurde 1978 in der Londoner Vorstadt Perivale in einer irischen Familie geboren. Als Jugendlicher arbeitete er im Baugeschäft seines Vaters mit. Schon in seiner Kindheit begann er zu boxen. Zudem spielte er Rugby und widmete sich Taekwondo.

Er studierte Jura an der University of Dundee in Schottland. Auf diese Uni fiel seine Wahl, weil sie in ihrem Prospekt mit ihrem Boxclub warb. Als Schwergewichtsboxer gewann er eine Reihe von nationalen Amateur-Titeln. Er spielte zudem für verschiedene bekannte britische Rugby-Teams. Als Jurist in London beschäftigt er sich mit schweren und auch aufsehenerregenden Fällen, wobei es unter anderem um Terrorismus, Korruption, Mord, Entführung und Betrug geht.

Schon seit seiner Jugend liest er Thriller, und er schreibt auch gerne. Als Inspiration nennt er Autoren wie Lee Child, Robert Ludlum, John Grisham, David Baldacci und Frederick Forsyth. Schon mit seinem ersten Roman „Killer Intent“ (Deutsch: „3, 2, 1 – Im Kreis der Verschwörer“) landete er 2017 einen Erfolg. 2019 folgte „Marked for Death“, der jetzt auf Deutsch unter dem Titel „Der Rächer“ vorliegt, und 2020 „Power Play“.

Er ist verheiratet mit Victoria Christian, der ältesten Tochter von Clive Christian, dem Inhaber der renommierten Luxusparfümmarke, die seinen Namen trägt. Das Paar hat zwei kleine Söhne und lebt in der nordwestlich von London gelegenen Grafschaft Buckinghamshire.


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