Hinterlist und pure Bosheit im Outback

Der erste Satz
Herrschte Hirsch über den Ort?

Krimi der Woche ∙ N° 29/2021 ∙ Hanspeter Eggenberger

Eineinhalb Jahre ist es her, seit Constable Paul Hirschhausen, genannt Hirsch, aus der Stadt in das abgelegene Kaff Tiverton verbannt wurde, wo er ein Ein-Mann-Revier führt. Als „Beschützer und Gesetzeshüter“ versteht er sich: „Er wachte über die beiden Geschwister im Teenageralter, die sich um ihre manisch-depressive Mutter kümmerten, über die alte Frau, deren Gatte ständig umherirrte, kaum dass sie ihm den Rücken kehrte, über den jungen Ureinwohner, der erst allmählich zu glauben begann, dass Hirsch nicht zu der prügelnden Sorte von Polizisten gehörte. Und er hielt Ausschau nach Dummheit, Hinterlist und reiner Bosheit. Er ging alte Verbrechen und launige Schicksalsschläge durch, von denen nur noch ein paar Blutflecken an einem Verandapfosten oder auf einer Einfahrt zeugten.“

Eigentlich hatte der australische Krimi-Grossmeister Garry Disher, als er Hirsch in „Bitter Wash Road“ zum ersten Mal auftreten liess, nicht an eine weitere Serie gedacht. Mit Inspector Challis und mit dem Berufskriminellen Wyatt hatte er schon zwei immer noch aktive Serienhelden. Doch nicht nur den Lesern hat es Hirsch auf Anhieb angetan, auch Disher mochte seine neue Figur gut genug, um einen zweiten Roman, folgen zu lassen. Und mit dem dritten, „Barrier Highway, ist Hirsch jetzt definitiv ein Serienheld.

Disher hält sich nicht an das übliche Schema von Polizeiromanen, nach dem ein Verbrechen begangen wird, das dann von der Polizei aufgeklärt wird. Es beginnt langsam, aber keineswegs langweilig. Hirschs Routine besteht zu einem grossen Teil aus lange Patrouillenfahren durch die dünn besiedelte Gegend. Er besucht Höfe, Schafzüchter, einsame Menschen und solche, die die gerade wegen der Abgeschiedenheit in der Einöde leben.

Unterwegs hört er viel. Etwa, dass ein Dorfkönig, der als cleverer Geschäftsmann gilt, seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommt. Dass es ein Gerangel um das Erbe einer alten Frau gibt. Dass ein Mann illegal Wald rodet.

Langsam aber unaufhaltsam eskalieren die Ereignisse. Der Waldabholzer bedroht den Schulleiter massiv. Der hatte ein Verhältnis mit der Frau des Abholzers, und als dieser das Schulgeld nicht bezahlen konnte, weil ein Scheck des Dorfkönigs geplatzt war, stellte er sein Kind bloss. Der Chef der lokalen Bank ist offenbar in Betrügereien verwickelt. Und plötzlich kommen Menschen ums Leben.

Leichthändig gelingt es Disher, eine vordergründig unspektakuläre Handlung virtuos zu einer faszinierenden Geschichte zu verdichten. Dass die einen packt, liegt vor allem auch an der empathischen Zeichnung des immer leicht melancholisch wirkenden Polizisten mit all seinen Fehlern und Macken.

Wertung: 4,3 / 5

Garry Disher: Barrier Highway
(Original: Consolation. The Text Publishing Company, Melbourne 2020)
Aus dem Englischen von Peter Torberg
Unionsverlag, Zürich 2021. 345 Seiten, 22 Euro/ca. 30 Franken

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Bild: Darren James

Garry Disher,

geboren 1949 in Burra, South Australia, ist auf einer Farm in Südaustralien aufgewachsen und wollte schon als Kind Schriftsteller werden. Er studierte zunächst Geschichte an der Adelaide University und bereiste dann Europa und Afrika. Nach der Rückkehr schrieb er eine Masterarbeit an der Monash University. Gleichzeitig begann er Kurzgeschichten zu schreiben, und er erhielt ein Stipendium für ein Creative Writing Fellowship an der Stanford University. Während vielen Jahren lehrte er in Melbourne neben seiner schriftstellerischen Arbeit kreatives Schreiben.

Inzwischen ist er längst einer der bekanntesten australischen Schriftsteller. Er hat mehr als 50 Bücher veröffentlicht. Neben Kriminalromanen sind das andere Romane, Kinder- und Jugendbücher sowie Sachbücher zur Geschichte Australiens und über das Schreiben. 1996 wurde sein Roman „The Sunken Road“, der auf Deutsch nicht erschienen ist, für den Booker Prize nominiert.

Zu Dishers Krimis zählen insbesondere zwei herausragende Serien, eine dritte kommt jetzt offenbar dazu. Der Protagonist der 1991 gestarteten Wyatt-Reihe, die inzwischen acht Romane umfasst (Deutsch im Berliner Kleinverlag Pulpmaster), ist ein Berufsverbrecher. Sieben Bände umfasst die Serie mit Inspector Challis (Deutsch im Zürcher Unionsverlag). Im aktuellen Roman „Barrier Highway“ (Original: „Consolation“, 2020) tritt nun bereits zum dritten Mal Paul „Hirsch“ Hirschhausen auf, nach „Bitter Wash Road“ (2013; Deutsch unter dem gleichen Titel 2016 erschienen) und „Hope Hill Drive“ (2020; Original: „Peace“, 2019).

Mehrere von Dishers Krimis waren auf der Shortlist für den Ned Kelly Award, den wichtigsten Krimipreis Australiens, den er für zwei Bücher und schliesslich auch für sein Gesamtwerk gewann. Seine Bücher erscheinen auch in den USA und in Grossbritannien sowie in mehreren anderen Sprachen. Vor allem im deutschen Sprachraum sind sie sehr erfolgreich.

Garry Disher lebt auf der Halbinsel Mornington südöstlich von Melbourne im australischen Bundesstaat Victoria.


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