Was hat der Ölbaron mit dem Mord am Bayou zu tun?

Der erste Satz
Das Boot ist kleiner, als er es sich vorgestellt hat.

Krimi der Woche ∙ N° 46/2021 ∙ Hanspeter Eggenberger

Eigentliche wollte Jay Harper auf dem Mietboot nur einen romantischen Abend mit seiner Frau Bernie verbringen. Doch dann fallen am Ufer Schüsse. Und Jay fischt eine Frau, die offenbar vom Tatort flieht, aus dem dreckigen Bayou in Houston. Die Frau will nicht reden. Doch die Geschichte, die sich als Mord herausstellt, holt Jay wieder ein, und der afroamerikanische Anwalt beginnt, der Sache nachzugehen. Die Spuren führen in die mächtige lokale Ölindustrie.

Wir kannten von den bisher fünf Romanen der afroamerikanischen Autorin Attica Locke auf Deutsch die beiden neuesten, „Bluebird, Bluebird“ und „Heaven, My Home“. Beides brillante Kriminalromane um einen schwarzen Texas Ranger. Ihr erst jetzt auf Deutsch erschienener Erstling „Black Water Rising“, der Anfang der 1980er Jahre in Texas spielt, zeigt, dass sie schon vor zwölf Jahren so gut war – inhaltlich wie handwerklich.

Sowohl mit Geld, das er eigentlich dringend brauchen kann, wie auch mit roher Gewalt und Todesdrohungen soll Jay Porter davon abgebracht werden, seine Nase in den Mordfall zu stecken. Das stachelt ihn nur noch mehr an. Gleichzeitig fühlt er sich von der Staatsmacht in jeder Form bedroht. Denn als Student hat er an der Uni Proteste organisiert, und er landete vor Gericht. Seine (weisse) Freundin aus dieser bewegten Zeit ist inzwischen Bürgermeisterin von Houston.

Die Bürgerrechtsbewegung der 1960er und frühen 1970er bildet ebenso den Hintergrund für die Krimistory wie der Kampf schwarzer Hafenarbeiter für gleichen Lohn wie die Weissen. Jay hat sich längst aus der Protestbewegung verabschiedet: „Jetzt steht er auf keiner Seite mehr. Ausser seiner eigenen.“ Er sucht sein eigenes Glück mit einer eigenen Familie. Aber seine Vergangenheit lässt ihn nicht los. Begegnungen mit der Bürgermeisterin wühlen diese neu auf. „Jay denkt, dass sie damals dumm waren. Jung und naiv genug zu glauben, dass sie Stimmen und Waffen gegen die Supermacht erheben könnten und damit durchkämen. Musste man nicht immer dafür bezahlen … irgendwann, irgendwie? Hat er nicht, tief im Inneren, genau auf diesen Moment gewartet? Auf den Tag, an dem sie wiederkommen und ihn holen?“

Der packende Krimi handelt nicht nur von Rassendiskriminierung, sondern auch vom Umgang mit der eigenen Vergangenheit, vom schwierigen Ablösungsprozess von früheren Idealen. Die Autorin kennt das von ihren eigenen Eltern, die in der Bürgerrechtsbewegung aktiv waren. Als diese in den Siebzigern, in denen Attica Locke geboren wurde, zu Ende ging, verloren die Eltern die gemeinsame Basis und trennten sich.

Wertung: 4,6 / 5

Attica Locke: Black Water Rising
(Original: Black Water Rising, Amistad Press, New York 2009
Aus dem Englischen von Andrea Stumpf und Gabriele Werbeck. Mit einem Nachwort von Peter Henning
Polar Verlag, Stuttgart 2021. 456 Seiten, 24 Euro/ca. 35 Franken

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Bild: Mel Melcon, Los Angeles Times

Attica Locke,

geboren 1974 in Houston, Texas, studierte an der Northwestern University und war Fellow am Features Filmmakers Lab des Sundance Institutes. Sie schrieb Drehbücher für bedeutende Film- und TV-Firmen wie Paramount, Warner Bros., Disney, 20th Century Fox, DreamWorks und HBO. Sie war als Autorin und Produzentin für die erfolgreiche TV-Serie „Empire“ über die Hip-Hop-Szene tätig, die seit 2015 läuft.

2009 veröffentlichte sie ihren ersten Roman „Black Water Rising“, für den sie für mehrere bedeutende Buchpreise nominiert wurde und der jetzt auch auf Deutsch erschienen ist. Für „The Cutting Season“ (2012) erhielt sie den Ernest Gaines Award for Literary Excellence, für „Pleasantville“ (2012) den Harper Lee Prize for Legal Fiction. „Bluebird, Bluebird“ (2017) war 2019 der erste Roman von Attica Locke, der auf Deutsch erschienen ist; er wurde mit dem wichtigsten Krimipreis, dem Edgar Award für den besten Roman, geehrt. In „Heaven, My Home“ (2019; Deutsch 2020) setzte sie die Geschichte des afroamerikanischen Texas Rangers Darren Mathews aus „Bluebird, Bluebird“ fort.

Attica Locke lebt mit ihrem Mann Karl und ihrer Tochter Clara in Los Angeles, wo sie nach wie vor als Produzentin und Autorin für Film- und TV-Produktionen tätig ist, so etwa für die Netflix-Serie „When They See Us“.


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