Von Männern, Sex und Gewalt

Der erste Satz
Hoffnung stirbt langsam, aber irgendwann stirbt sie.

Krimi der Woche ∙ N° 51/2021 ∙ Hanspeter Eggenberger

Margo Dunlop steckt in einer Krise. Vor Kurzem ist ihre Mutter, die Adoptivmutter, gestorben. Und sie hat ihren Freund Joe verlassen. Um dann festzustellen, dass sie schwanger ist. Nun will die junge Ärztin ihre leibliche Mutter finden. Doch die ist tot. Über die Adoptionsagentur lernt Margo die Schwester ihrer Mutter kennen, Nikki. Ihre Mutter war wenige Monate nach Margos Geburt und Adoption erst 19-jährig auf dem Drogenstrich in Glasgow ermordet worden. Der Fall wurde nicht geklärt. Die Tante, die bis heute vom möglichen Mörder anonyme Drohungen erhält, ist überzeugt, dass ein ehemaliger Polizist der Mörder war. Und dass der eine ganze Reihe von Prostituierten umgebracht hat. Nikki will Margo sofort dafür einspannen, ihr beim Überführen des Mörders zu helfen.

So beginnt „Totstück“, der neue Roman der schottischen Noir-Meisterin Denise Mina. Die engagierte Feministin lässt ihre Protagonistin gleich in einen wahren Alptraum taumeln. Margo traut ihrer Tante Nikki zunächst nicht und will sich aus der Geschichte raushalten. Doch dann bekommt auch sie gruselige Drohbriefe und steckt doch mittendrin. Sie wird offenbar verfolgt. Auch im Haus ihrer Adoptivmutter stöbert der Verfolger sie auf.

So muss sich Margo auf die Sache einlassen. Von Nikki, die selbst eine Vergangenheit mit Drogen und als Prostituierte hat, erfährt die behütet aufgewachsene Margo vom Leben auf der Schattenseite von Glasgow. Ihre Mutter war schon mit 13 zum ersten Mal schwanger. Die beiden Schwestern aus einer armen Familie schlugen sich als Sexarbeiterinnen durch, waren drogensüchtig. Ein gefährliches Leben: Eine ganze Reihe von Frauen wurden damals ermordet. Dass die Fälle ungeklärt blieben, lag auch daran, dass diese Opfer der Polizei nicht so wichtig waren.

Unsentimental schildert Denise Mina das harte Leben dieser Frauen, das in einem krassen Gegensatz zu Margos bisherigem Dasein steht. Um Übergriffe und Gewalt gegen Frauen geht es auch in der quasi nebenbei mitlaufenden Geschichte von Margos bester Freundin. Diese wird von ihrem gewalttätigen Exfreund gestalkt und bedroht.

Männer und Sex, Gewalt gegen Frauen bis zum Mord sind das Hauptthema dieses Romans. Betty, die Grosstante, die Margo im Verlauf der Geschichte kennenlernt, sagt: „Hast du dir je Gedanken über Männer gemacht? Über Männer und Sex? Die dunkle Seite davon? Was ist da los? Tiere und Kinder, Leute angrabschen, Gewalt und dieses ganze irre Pornozeugs – ich meine, was stimmt nicht mit denen?“

Es ist eine düstere Geschichte. Denise Mina erzählt sie nicht nur eindrücklich und spannend, sondern auch mit feinem Sinn für Humor.

Wertung: 4 / 5

Denise Mina: Totstück
(Original: The Less Dead. Harvill Secker, London 2020)
Aus dem Englischen von Karen Gerwig
Ariadne im Argument Verlag, Hamburg 2021. 317 Seiten, 23 Euro/ca. 33 Franken

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Bild: PD

Denise Mina,

geboren 1966 ins Glasgow, Schottland, wuchs in Glasgow, Paris, London, Invergordon, Bergen und Perth auf. Ihr Vater war Ingenieur in der Erdölbranche, weshalb die Familie in 18 Jahren 21-mal umzog. Denise Mina verliess die Schule mit 16 Jahren und jobbte in einer Fleischfabrik, in Bars, als Köchin und als Krankenpflegehelferin.

Sie besuchte eine Abendschule, um Jura an der Glasgow University Law School studieren zu können, wobei sie, wie sie selbst sagt, ihr Stipendium dazu missbraucht habe, ihren ersten Roman zu schreiben: „Garnethill“ (Deutsch: „Schrei lauter, Maureen“, 1999) erschien 1998 und gewann den John Creasy Dagger der Crime Writers’ Association für den besten Erstlingskriminalroman. Auf die damit begonnene Garnet-Trilogie (1998–2002) folgte eine dreiteilige Reihe um Paddy Meehan (2005–2007), gefolgt von der Alex-Morrow-Reihe mit fünf Bänden (2009–2014). Daneben entstanden auch Standalones wie „Conviction“ (2019; Deutsch: „Klare Sache“).

Insgesamt hat Denise Mina bisher mehr als ein Dutzend Romane veröffentlicht und gilt als „Queen of Tartan Noir“; als Tartan Noir wird die schottische Noir-Kriminalliteratur bezeichnet, die vor allem von William McIlvanney mit „Laidlaw“ (1977) begründet wurde.

Daneben ist die engagierte Feministin auch Autorin von Shortstorys, Bühnenstücken und Comics, und sie schreibt für TV und Radio. 2014 wurde sie in die Hall of Fame der britischen Crime Writers’ Association aufgenommen. Sie lebt in Glasgow.


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