Rache ist dasselbe wie Hass, nur netter verpackt

Der erste Satz
Ike versuchte sich an eine Zeit zu erinnern, als Männer mit Dienstmarken, die frühmorgens vor seiner Tür auftauchten, etwas anderes brachten, als Kummer und Leid, doch sosehr er sich auch bemühte, es fiel ihm nichts ein.

Krimi der Woche∙ N° 22/2022 ∙ Hanspeter Eggenberger

Die beiden Männer leben in verschiedenen Welten. Der Afroamerikaner Ike Randolph hat nach Jahren auf der dunklen Seite des Lebens und im Knast den Aufstieg in den Mittelstand geschafft. Er besitzt eine gut laufende Firma für Rasenpflege mit einigen Mitarbeitern, ein Haus in der Vorstadt, wo er mit seiner Frau lebt. Der Redneck Buddy Lee Jenkins dagegen ist White Trash. Er lebt in einem Trailerpark, ist geschieden, schlägt sich von Job zu Job durch, hat ein schweres Alkoholproblem. Abgesehen davon, dass beide Zeit hinter Gittern verbracht haben, verbindet nur eines die Männer: ihre Söhne. Isiah Randolph und Derek Jenkins waren ein Paar, verheiratet. Die Väter, die deswegen mit ihren Söhnen gebrochen hatten, lernen sich bei deren Begräbnis kennen. Die Söhne sind ermordet worden, regelrecht hingerichtet.

„Die Rache der Väter“ ist der etwas platte deutsche Titel des brillanten neuen Romans des afroamerikanischen Autors S. A. Cosby, der im Original poetisch-scharf „Razorblade Tears“ heisst. Cosby machte ein Jahr davor Furore mit dem spektakulären Thriller „Blacktop Wasteland“ um einen afroamerikanischen Fluchtfahrer im ruralen Virginia. Mit seinem Rachethriller legt er nun noch eine Schippe drauf.

Cosby gelingt es, eine komplexe Geschichte, in der er Rassismus, Homophobie und Fremdenfeindlichkeit messerscharf seziert, in einen ebenso rasanten wie brutalen und zugleich hoch emotionalen und zutiefst menschlichen Actionreisser zu giessen. Ein perfektes Noir-Meisterwerk, das über die Südstaatenliteratur hinaus Massstäbe setzt!

Nachdem die polizeilichen Ermittlungen zum Schwulenmord nicht vorankommen, nehmen die beiden Väter, die sich eigentlich gar nicht mögen, die Sache gemeinsam selbst an die Hand. Beiden ist klar: Die Mörder ihrer Söhne werden das nicht überleben. Hier werden keine Gefangenen gemacht. Auf ihrer Jagd nach den Mördern nehmen sie auf niemanden Rücksicht. Bald bedroht eine Motorradgang die beiden älteren Männer. Die Gewalt eskaliert.

Neben aller Brutalität und Action lebt die Geschichte auch davon, wie den beiden ursprünglich ziemlich homophoben Vätern mehr und mehr aufgeht, wie falsch sie sich gegenüber ihren Söhnen verhalten haben. Und während man längst aufgehört hat, die Leichen zu zählen, nähern sich die beiden Männer bei allen Gegensätzen, die nie verschwinden, doch ein bisschen an.

Ihre Rache ist gnadenlos. Doch Ike Randolph muss sich eingestehen, dass ihn im Grunde etwas anderes antreibt: „Leute reden immer gern von Rache, als wäre das eine gerechte Sache, aber in Wahrheit ist es einfach nur Hass, der netter verpackt ist.“

Wertung: 5 / 5

S. A. Cosby: Die Rache der Väter
(Original: Razorblade Tears. Flatiron Books, New York 2021)
Aus dem Englischen von Jürgen Bürger
ars vivendi Verlag, Cadolzburg 2022. 352 Seiten, 24 Euro/ca. 35 Franken

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Bild: Sam Sauter

S. (Shawn) A. Cosby,

geboren 1973, ist in der ländlichen Region an den Ufern der Chesapeake Bay im Südosten des US-Bundestaats Virginia in einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Schon in seinen Jugendjahren wollte er Schriftsteller werden. Seine Mutter ermunterte ihn, als Übung Romane umzuschreiben, deren Ende er nicht mochte. Er stürzte sich dafür aufs Horror-Genre und wollte, wie er in einem Interview sagte, „ein afroamerikanischer Stephen King“ werden. Durch einen Onkel stiess er schon früh auf Kriminalliteratur, etwa von John D. MacDonald und Mickey Spillane.

Er studierte Englische Literatur an der Christopher Newport University in Newport News, Virginia, brach das Studium aber ab, um sich um seine erkrankte Mutter zu kümmern. Er arbeitete unter anderem als Gabelstapelfahrer, Landschaftsgärtner, Roadie, Bauarbeiter und Türsteher.

In kleinen Verlagen veröffentlichte er seine ersten beiden Romane, „Brotherhood of the Blade“ (2015) und „My Darkest Prayer“ (2019). Der Durchbruch kam 2020 nach dem renommierten Anthony Award für die Kurzgeschichte „The Grass Beneath My Feet“ mit dem Roman „Blacktop Wasteland“, der von der Kritik begeistert aufgenommen wurde und unter dem gleichen Titel auch auf Deutsch erschienen ist. Eine kleine Produktionsfirma hat die Filmrechte gekauft. Für den nächsten Roman Cosbys, „Razorblade Tears“, der nun unter dem Titel „Die Rache der Väter“ auf Deutsch erschienen ist, hat sich das Hollywood-Studio Paramount die Rechte gesichert; Jerry Bruckheimer und Chad Oman werden den Film produzieren.

S. A. Cosby ist verheiratet mit Kimberley Redmond, die in Shacklefords, Virginia, das Bestattungsinstitut J. K. Redmond Funeral Home führt, das sie von ihrem Vater übernommen hat. Cosby half da als Bestatter aus, bevor er vom Schreiben leben konnte. Das Paar lebt in Gloucester, Virginia.


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