Geld und Macht, Kunst und Mord

Der erste Satz
Meinen Vater lernte ich auf seiner Beerdigung kennen.

Krimi der Woche∙ N° 23/2022 ∙ Hanspeter Eggenberger

Sonja Slanski betreibt in Frankfurt etwas, was man als Inkassobüro für gröbere Fälle bezeichnen könnte. Sie selbst nennt ihr Geschäft auf ihrer Visitenkarte „Forderungsmanagement“. Sie kennt Leute mit Geld, Wissen und Beziehungen. Sie sieht sich als Vermittlerin. „Wenn man nach den Schuldnern sucht, geht man nicht von Redlichkeit aus“, meint sie. Sie ist mehr detektivisch unterwegs, als dass sie direkt Geld eintreiben würde.

Slanski ist die Icherzählerin im atemberaubenden ersten Roman der in der Schweiz lebenden deutschen Schauspielerin und Textildesignerin Sybille Ruge, der den etwa seltsamen Titel „Davenport 160 x 90“ trägt. Was klingt wie die Bezeichnung eines Kunstwerks mit Angabe der Masse ist der Tisch aus einem grossen Baumarkt in Slanskis Büro. Der am Ende tatsächlich zum Teil eines Kunstwerks wird.

Dafür sorgt die junge Künstlerin, die sich Luna Moon nennt und sich eines Tages in Slanski Loft einnistet. Wo sie, noch bevor ihre Ausstellung eröffnet ist, ermordet wird. Erst nach ihrem Tod erfährt Slanski, dass Luna ihre Halbschwester war. Das motiviert sie herauszufinden, wer der Mörder ist.

Es ist aber nicht dieses Krimielement, das Ruges Debüt so herausragend macht in der deutschsprachigen Kriminalliteratur, wie es in den letzten Jahren fast nur die bösen Berlin-Romane von Johannes Groschupf („Berlin Prepper“, „Berlin Heat“) waren. Es geht in ihrem „Female Noir“-Roman nicht primär um die Lösung eines Kriminalfalls, sondern um das Leben an und für sich. Etwa um prekäre Familienverhältnisse, um das Aufwachsen in reichen aber kalten Kreisen, um den verschlagenen Kunstbetrieb, um eine Gesellschaft, in der nur Geld und Macht zählen und vielleicht noch Sex. Slanski sieht „die ganze Marktwirtschaft“ zynisch als „Erpressung in geordneten Bahnen“.

Und wie Sybille Ruge das erzählt! Sie feuert in dem relativ kurzen Roman stetig böse Betrachtungen und aggressive Assoziationen, respektlose Reflexionen und wahnwitzige Wahrheiten ab. Das ist ebenso geistreich wie listig. Es wimmelt nur so von Anspielungen; dass man nicht alle davon mitbekommt oder entschlüsseln kann, tut dem Unterhaltungswert keinen Abbruch.

Es gibt denn auch Dutzende Passagen, die man zitieren möchte. Hier nur ein Beispiel: „Ich glaube nicht an sogenanntes Networking. Ich halte Networking für eine hinterhältige Bezeichnung für Schnorren und Ausnutzen flüchtiger Bekanntschaften. Networker waren wie Penner, die dich fragen, wie es dir geht, und dir den Becher hinhalten. Leute, die mit minimalem Aufwand grösstmögliche Vorteile ergattern wollen, von kostenlosem Schlafplatz bis zu Informationen.“

Wertung: 4,7 / 5

Sybille Ruge: Davenport 160 x 90
Suhrkamp, Berlin 2022. 264 Seiten, 15 Euro/ca. 23 Franken

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Bild: emotional gallery/Suhrkamp Verlag

Sybille Ruge,

geboren 1963 in der Kleinstadt Meiningen im Süden Thüringens in der DDR, studierte Schauspiel an der Theaterhochschule „Hans Otto“ in Leipzig. Am Theater im Palast der Republik in Osterberlin war sie als Kostümbildnerin tätig. Als Schauspielerin wirkte sie im Film „Motivsuche“ von Dietmar Hochmuth mit, der in den letzten Monaten der DDR gedreht wurde.

Seit vielen Jahren arbeitet sie als Textildesignerin und -entwicklerin. Unter anderem war sie 1997 bis 2003 Creative Director bei Taunus Textildruck Zimmer in Oberursel. Seit 2003 ist sie in Frankfurt als Designerin und Beraterin für textile Innenausstattung im High-End-Bereich tätig.

„Davenport 160 x 90“ ist Sybille Ruges erster Roman. Laut dem Suhrkamp Verlag ist sie auch Lyrikerin. Und sie liebe „Raumfahrt, Soziologe und die Texte von Heiner Müller“. Sie lebt in der Schweiz.


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