Macho-Noir – oder: „Hollywood Babylon“ als Thriller

Der erste Satz
Seit achtundzwanzig Jahren stecke ich in diesem beschissenen Elendsloch fest.

Krimi der Woche∙ N° 24/2022 ∙ Hanspeter Eggenberger

Als erster veröffentlichte der amerikanische Undergroundfilm-Pionier Kenneth Anger eine Sammlung von Skandalen aus der Frühzeit Hollywoods in Buchform: Das Kult-Sachbuch „Hollywood Babylon“ erschien 1959 in Frankreich und erst 1965 in den USA, wo es sogleich verboten wurde erst 1975 wieder erscheinen durfte. Jetzt kondensiert Starautor James Ellroy („L. A. Confidential“), inzwischen über siebzigjährig, das babylonische Hollywood der Fünfzigerjahre in seinem Roman „Allgemeine Panik“.

Da treten reihenweise Filmstars und auch Politiker aus jener Zeit auf. Etwa John Wayne (trägt gerne Frauenkleider), Barbara Stanwyck („mag ihre Partnerinnen frisch und ländlich blühend“), James Dean (lässt als „menschlicher Aschenbecher“ Zigaretten auf seinem Körper ausdrücken), Burt Lancaster (hat in seiner Villa eine Folterkammer) und der junge Senator John F. Kennedy (sammelt Schamhaarlocken). Vieles von dem, was da breit oder beiläufig vorkommt, ist verbürgt, anderes beruht auf Gerüchten, manches ist frei erfunden.

Der sprühende Cocktail aus Sex und Verbrechen wird aus der Sicht von Freddy Otash erzählt, der seit seinem Tod vor fast dreissig Jahren in der Hölle schmort und sich nun mit dem Gestehen seiner Missetaten daraus befreien will. Er war zunächst ein korrupter Cop, wurde dann Mitarbeiter des Skandalblattes „Confidential“, für das er halb Hollywood verwanzte, wurde dann Privatdetektiv und Spitzel des Polizeichefs von L. A.: „Ich war der Höllenhund, vor dem ganz Hollywood kuschte.“ Er erpresste Stars. Männern von Frauen, die sich scheiden lassen wollten, stellte er Fallen, um dann von Abfindungen und Unterhaltszahlungen Prozente zu kassieren.

James Ellroy versammelt in diesem furiosen Alterswerk noch einmal seine bekannten Obsessionen. Voyeurismus, Perversionen, korrupte Polizisten, kommunistische Verschwörungen, Nazi-Kult, Schmuddelfilme, Sexualmorde und Skandalblätter. Zeitgerecht gibt es sexistische, rassistische, antisemitische und homophobe Sprüche. Ellroys typisches Stabreim-Stakkato, das mal brillant, mal eher läppisch ist, war eine Herausforderung für den Übersetzer. „Schicke Schwule, jammernde Junkies und Alkis am Abgrund.“

Freddy Otash, der sich selbst als „Schamane der Schande“ und „schmierige Ratte“ bezeichnet, hat auch eine andere Seite: Er will Jungfrauen retten und getötete Frauen rächen. Schauspieler, sagt er, seien „allesamt allzu temperamentvoll und allesamt allzu sadistisch, immer und stets auf Kosten der Frau“. Doch deswegen wird Ellroy noch lange nicht zum Feministen. „Allgemeine Panik“ ist ein Macho-Noir. Und das oft nicht jugendfrei, aber meistens vergnüglich.

Wertung: 3,5 / 5

James Ellroy: Allgemeine Panik
(Original: Widespread Panic. Alfred A. Knopf, New York 2021)
Aus dem Englischen von Stephen Tree
Ullstein, Berlin 2022. 431 Seiten, 26 Euro/ca. 37 Franken

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Bild: Mark Coggins from San Francisco, CC BY 2.0/Wikimedia

James Ellroy,

geboren 1948, zählt zu den berühmtesten Exponenten der amerikanischen Kriminalliteratur der letzten Jahrzehnte. Er wuchs in Los Angeles und Umgebung auf. Seine Eltern liessen sich 1954 scheiden und er lebte zunächst bei seiner Mutter in El Monte, einem Vorort von Los Angeles. 1958 fiel sie einem Sexualverbrechen, das nie geklärt wurde, zum Opfer, und James Ellroy zog zu seinem Vater, der sich in Downtown L. A. als Buchmacher und mit Gelegenheitsarbeiten durchschlug.

Nach dem Tod des Vaters und einer kurzen Zeit bei der US Navy war er ab 1965 längere Zeit obdachlos, wurde alkohol- und drogenabhängig, beging kleinere Straftaten und kam immer mal wieder in Haft. 1975 kam er wegen einer akuten schweren Psychose in ein Krankenhaus; 1977 wäre er fast am einem Lungenabszess gestorben, den er sich durch das Inhalieren von drogengetränkten Wattebäuschchen zugezogen hatte. Danach hörte er mit dem Trinken auf und arbeitete auf Golfplätzen als Caddy. Daneben begann er mit dem Schreiben. Er hatte schon als Jugendlicher gerne Kriminalromane und True-Crime-Reportagen gelesen.

1981 erschien sein erster Roman „Browns Grabgesang“. Dieser und vier nachfolgende Romane wurden bereits in andere Sprachen übersetzt, unter anderem auch ins Deutsche. Den grossen Durchbruch brachte ihm 1987 „Die schwarze Dahlie“, ein Roman über den ungeklärten Sexualmord an einer jungen Schauspielerin im Jahr 1948. Ellroy war schon bald nach dem Tod seiner Mutter auf diesen Fall gestossen und regelrecht besessen davon. Dieses Buch war der Auftakt zum sogenannten „L. A.-Quartett“, zu dem auch „L. A. Confidential“ (1990) gehört, das zu einem seiner bekanntesten Werke wurde, auch durch die erfolgreiche Verfilmung, die 1997 in die Kinos kam. Mehrere weitere seiner bisher rund 20 Romane wurden verfilmt.

Mitte der Neunzigerjahre heiratete Ellroy in zweiter Ehe die Autorin Helen Knode und das Paar lebte in Kansas City. Nach der Scheidung zog er 2006 zurück nach Los Angeles. Seit ein paar Jahren lebt er wieder mit Helen Knode zusammen, nun in Colorado.


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