Wer schlitzt alten Männern die Kehle auf?

Der erste Satz
Draussen im Park sang eine Amsel.

Krimi der Woche ∙ N° 38/2022 ∙ Hanspeter Eggenberger

Samantha Stern, jüngster Chief Superintendent der Royal Canadian Police in Calgary, ist genervt. Ihr Chef hat ihr den landesweit bekannten Profiler Ted Garner aufs Auge gedrückt, nachdem sie in einem dramatischen Fall nicht weitergekommen ist: In einem Spital ist einem todkranken alten Mann die Kehle durchgeschnitten worden.

Ted Garner ist ebenfalls genervt. Denn da gerade die Calgary Stampede stattfindet, der grösste Rodeoanlass der Welt mit mehr als einer Million Besucher, sind alle Hotels in der Stadt ausgebucht. Er muss bei seinem Vater unterkommen, mit dem er kein besonders gutes Verhältnis hat und der zudem etwa eine Stunde ausserhalb der Stadt auf dem Land lebt.

„Blutrodeo“ heisst der zweite Krimi von Frauke Buchholz. Die deutsche Autorin hat viel Zeit in Kanada verbracht und hat über zeitgenössische Literatur indigener Autorinnen und Autoren in Nordamerika promoviert. In ihrem ersten Roman „Frostmond“ ging es um verschwundene Ureinwohnerinnen Kanadas. Nun führt ein vertrackter Fall die Ermittler in ein Reservat, in dem Erdölkonzerne Ölsand abbauen und damit die alten Indianerjagdgründe zerstören. Als „industriellen Genozid“ bezeichnet dies eine Aktivistin.

Auch wenn solche Passagen in dem Buch zuweilen etwas traktathaft daherkommen, liest es sich insgesamt gut. Buchholz beherrscht das Erzählhandwerk und punktet auch mit trockenem Humor. Solcher ergibt sich immer wieder aus der zwangsweisen Zusammenarbeit zwischen der ehrgeizigen Polizistin und dem von sich ziemlich eingenommenen Profiler, der ihr gerne Zitate des deutschen Philosophen Arthur Schopenhauer um die Ohren haut. Etwa: „Jede zufällige Begegnung ist eine Verabredung, jede Demütigung eine Busse, jeder Zusammenbruch ein geheimnisvoller Sieg, jeder Tod ein Selbstmord.“

Die Messerattacke im Spital erweist sich als Teil einer kleinen Serie gleichartiger Mordfälle, die nach Rache riechen. Haben sie mit der Umweltsauerei im Reservat zu tun, wo mindestens zwei der Opfer gearbeitet hatten? Oder geht es um ein Ereignis im Vietnamkrieg, in dem die Opfer gekämpft hatten? „Das Gesetz von Ursache und Wirkung gilt unumstösslich“, doziert Ted Garner. „Der Weg zum Täter führt immer über das Opfer.“

Die Morde fanden am 8. Mai, 8. Juni und 8. Juli statt. Und der 8. August naht. Wird es ein weiteres Opfer geben? Vielleicht gar Garners Vater, der an diesem Tag für eine Operation ins Spital muss? Nur so viel sei verraten: Die Geschichte, in der es auch um Familienverhältnisse und anderen Beziehungen geht, steuert unaufhaltsam auf einen gewalttätigen Showdown zu.

Wertung: 3,5 / 5

Frauke Buchholz: Blutrodeo
Pendragon, Bielefeld 2022. 264 Seiten, 18 Euro/ca. 27 Franken

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Bild: Claudia Fahlbusch

Frauke Buchholz,

geboren 1961 in der Nähe von Düsseldorf, studierte Anglistik und Romanistik in Köln, Heidelberg und Aachen. Sie promovierte über zeitgenössische Literatur von nordamerikanischen indigenen Autorinnen und Autoren. Sie liebt das Reisen und fremde Kulturen. In den USA und in Kanada hat sie viele Indianerreservate besucht, und sie verbrachte einige Zeit in einem Cree-Reservat in der kanadischen Provinz Alberta.

Ihre Kurzgeschichten erscheinen in Anthologien und Literaturzeitschriften. 2020 wurde ihre Geschichte „Barfly“ mit dem 1. Preis der Gruppe 48 ausgezeichnet. 2021 wurde ihr erster Kriminalroman „Frostmond“ veröffentlicht; er dreht sich um die Hunderte von indigenen Mädchen und Frauen, die in Kanada verschwunden sind, wobei angenommen wird, dass die meisten Opfer sexueller Gewalt wurden. Der Roman wurde unter anderem mit dem Stuttgarter Krimipreis für das beste Debüt ausgezeichnet. Auch der soeben erschienene zweite Krimi „Blutrodeo“ spielt in Kanada.

Frauke Buchholz lebt in Aachen, wo sie am Anne-Frank-Gymnasium Englisch und Französisch unterrichtet.


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