Dieses Buch ist grosses Kino

Der erste Satz
Am Donnerstag, den 7. September 1995, um 11.32 Uhr wurde die Far East National Bank in der 444 South Flower Steet in Los Angeles von drei Männern überfallen: Neil McCauley, Michael Cerrito und Chris Shiherlis.

Krimi der Woche ∙ N° 40/2022 ∙ Hanspeter Eggenberger

„Man muss weit zurückgehen in der Geschichte des Polizei- und Gangsterfilms, um Parallelen für die existenzialistische Dimension zu finden, in die Michael Manns Film vordringt“, schrieb der „Filmdienst“ 1996 über „Heat“. Wie manche von Manns Werken ist der Film nicht nur inhaltlich, sondern auch ästhetisch ein Meisterwerk. Mit einem letzten Überfall wollte da Neil McCauley (Robert De Niro) mit seiner Bande das grosse Geld machen, um sich zurückziehen zu können. Doch der besessene Polizeiermittler Vincent Hanna (Al Pacino) wusste das zu verhindern. Beim Showdown beim Flughafen von Los Angeles erschoss er McCauley.

Nur einer von der Bande überlebte trotz einer Schussverletzung: Chris Shiherlis (im Film von Val Kilmer verkörpert). Und er ist nun die Hauptfigur in „Heat 2“, der Fortsetzung des Films als Roman, die Filmemacher Michael Mann zusammen mit der Krimiautorin Meg Gardiner schrieb.

Nach einer nüchternen Zusammenfassung der Filmhandlung begleitet der Roman zunächst kurz Chris auf der Flucht südwärts. Dann wird das Sequel aber mit einem Rückblick ins Jahr 1988 zum Prequel Die McCauley-Bande landet in Chicago einen Coup. Dort gerät sie ins Visier eines perversen Kriminellen, dem ein Polizist namens Vincent Hanna auf den Fersen ist. Hanna macht schon hier die Verfolgung von Schwerverbrechern zu seiner ganz persönlichen Mission. Der Kriminelle verfolgt dann McCauley, um ihm die Beute des nächsten Coups abzunehmen.

Zwischendurch verfolgen wir, wie sich Chris nach seiner Flucht im „kriminellen Disneyland“ von Ciudad del Este in Paraguay für eine Familie nützlich macht, die in unterschiedlichen Geschäften tätig ist. Und schliesslich kehrt er nach ein paar Jahren vorübergehend zurück nach L. A., wo sich die Wege verschiedener Protagonisten von früher erneut kreuzen. Chris wird dabei mit seiner Vergangenheit konfrontiert.

Es ist eine komplexe und in ihrem Detailreichtum oft faszinierende Geschichte, die da auf gegen 700 Seiten ausgebreitet wird. Sie ist spannend und actionreich. Und sie geht, wie schon der Film, auch in die Tiefe und wirft grundsätzliche Fragen auf. Es geht um Treue und Verrat, Liebe und Verlust. Um den schmalen Grat, der Verbrecher und ihre Verfolger trennt.

Leider scheint Michael Mann mit dem geschriebenen Wort nicht so virtuos umgehen zu können wie mit der Filmsprache. Die Sprache des Romans gleitet immer wieder in Klischees und Allgemeinplätze ab, die höchstens teilweise der Übersetzung angelastet werden können. Dennoch: Das Buch ist grosses Kino. Man würde das gerne auf der Leinwand sehen. Es besteht Hoffnung: Michael Mann möchte den Roman jedenfalls verfilmen.

Wertung: 4,1 / 5

Michael Mann / Meg Gardiner: Heat 2
(Original: Heat 2. William Morrow & Company, New York 2022)

Aus dem Englischen von Wolfgang Thon
HarperCollins, Hamburg 2022. 688 Seiten, 14 Euro/ca. 22 Franken

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Bild: privat/PD

Michael Mann,

geboren 1943 in Chicago, besuchte nach einem Studium in Englischer Literatur an der University of Wisconsin-Madison die London Film School in England. Danach startete er seine Karriere als Autorenfilmer in den USA.

Seit 1968 ist er als Regisseur, Produzent und Drehbuchautor für Kino und TV tätig. Zu seinen grössten und bekanntesten Erfolgen zählt die stilbildende TV-Serie „Miami Vice“ mit 111 Folgen von 1985 bis 1989. Neben mehreren Fernsehserien schuf er rund ein Dutzend Kinofilme. Die meisten seiner Werke sind geprägt durch einen ausgeklügelten visuellen Stil. Dafür nimmt er immer mal wieder auch selbst die Kamera in die Hand.

Seit 1974 ist er mit der Kunstmalerin Summer Mann verheiratet. Das Paar hat vier erwachsene Töchter. Es lebt in Los Angeles.

Meg Gardiner,

geboren 1957 in Oklahoma, wuchs im kalifornischen Santa Barbara auf. Sie studierter Wirtschaft an der Stanford University und Rechtswissenschaften an der Stanford Law School. Danach unterrichtete sie Legal Research und Schreiben an der University of California in Santa Barbara.

Im Juni 1987 war sie (als Meg Shreve) dreifacher Champion bei der legendären amerikanischen TV-Quizshow „Joepardy!“; in der vierten Folge wurde sie noch Zweite. 2020 wurde auch ihre Tochter Kate Lazo „Jeopardy!“-Champion.

In den Neunzigerjahren zog Meg Gardiner mit ihrem Mann Paul Shreve nach England, wo sie bis 2013 lebte und Romane zu schreiben begann. 2002 erschien der erste Band einer fünfteiligen Serie mit der Anwältin Evan Delaney, es folgten vier Romane mit der forensischen Psychiaterin Jo Beckett; beide Serien sind auch auf Deutsch erschienen. Bisher hat sie 15 Romane veröffentlicht.

Meg Gardiner hat drei Kinder. Seit 2013 lebt sie in der texanischen Hauptstadt Austin.


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