Wenn das Menschenrecht, online zu sein, zur Falle wird

Der erste Satz
Ein Spatz hüpfte durch die Gitterstäbe.

Krimi der Woche∙ N° 01/2023 ∙ Hanspeter Eggenberger

Ihr Gerechtigkeitssinn hat Sigrid Melin schon früher Probleme eingebracht. Jetzt ist sie als Sprecherin von Amnesty International in Ungnade gefallen, weil sie im dänischen Fernsehen ein Unternehmen offenbar ohne ausreichende Beweise der Menschenrechtsverletzung bezichtigte. Um so überraschender kommt das Jobangebot eines skandinavischen Telekomkonzerns: Sie soll dessen Ausbau des Mobilfunknetzes in Syrien begleiten als Zuständige für Corporate Social Responsibility, die unternehmerische Sozialverantwortung.

Dass das nicht gut gehen wird, erfahren wir schon im Prolog von „Damaskus“, dem ersten Roman der dänischen Journalistin und Drehbuchautorin Iben Albinus. Da sitzt die rothaarige und sommersprossige Sigrid im Gefängnis Al-Khatib in der syrischen Hauptstadt Damaskus. Keine ganz neue Erfahrung für die Dänin. Jahre zuvor sass sie schon zu Beginn des Irakkriegs als der Spionage verdächtigte Journalistin im berüchtigten Knast von Abu Ghraib.

„It’s a human right to be online”, lautete die Devise, die Sigrid den Job schmackhaft machte. Oder, wie es der Konzernchef einmal sagt: „Der Mobilfunk verändert die Welt. Diese Technologie ist der einzige Weg zur Demokratie.“ Dass die Technologie einem totalitären Regime auch eine weitgehende Überwachung deren Nutzer ermöglicht, wird ihr erst später klar. Obwohl der Konzern dafür die Software liefert, will der Konzernchef damit nichts zu tun haben: „Wir können uns nicht einmischen, wie ein souveräner Staat sein Rechtssystem umsetzt.“

Die Geschichte spielt im Jahr 2011. Der „arabische Frühling“, der in Tunesien begann, dann auf Libyen und Ägypten übergriff, hat Syrien erreicht. Baschar al-Assad hat zwar Reformen versprochen, doch lässt seine Schergen mit aller Brutalität gegen Demonstranten vorgehen, die diese einfordern. Vor diesem Hintergrund entwickelt Iben Albinus in ihrem Debüt einen spannenden Politthriller, der den Ursprung des Bürgerkriegs eindrücklich darstellt und dabei nicht nur mit reichlich Action, sondern auch mit emotionalen Szenen um Familie, Liebe, Freundschaft, Loyalität und Verrat fesselt und unterhält. Gleichzeitig gelingt es ihr, ohne dabei ins Dozieren zu geraten, Widersprüchlichkeiten und Dilemmas sowohl im lokalen wie im internationalen Kontext sichtbar und verständlich zu machen.

Der Roman wird in Dänemark zurzeit zu einer TV-Serie entwickelt. Und bereits in diesem Jahr soll auf Dänisch ein weiterer Roman mit der Protagonistin Sigrid Melin erscheinen. Ob diese wirklich zur Serienfigur taugt, wird sich zeigen müssen.

Wertung: 4 / 5

Iben Albinus: Damaskus
(Original: Damaskus. Politikens Forlag, Kopenhagen 2021)
Aus dem Dänischen von Kerstin Schöps
Hoffmann und Cample, Hamburg 2023. 509 Seiten, 24 Euro/ca. 33 Franken

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Bild: Tine Harden

Iben Albinus,

geboren 1972 in Aarhus, studierte an der Universität Aarhus zunächst Englisch und Ästhetik & Kultur, dann an der Universität Siena in Italien Filmwissenschaft und Journalismus. Sie war Kulturjournalistin und Filmkritikerin für verschiedene dänische Medien und veröffentlicht Sachbücher über die TV-Serien „Mad Men“ und „Sex and the City“. Sie absolvierte Schreibkurse und war während zwei Jahren in einem Mentorenprogramm der britischen Drehbuchautorin Linda Aronson. 2016 machte sie an der Syddansk Universitet (Süddänische Universität) in Odense einen Abschluss in Drehbuchschreiben und war dann dort auch als Dozentin tätig.

Seit 2016 ist sie als Drehbuchautorin tätig. Für das dänische Fernsehen schuf sie eine Serie und sie schrieb Drehbücher für verschiedene Serien. Zurzeit arbeitet sie an einer neuen Krimiserie für das Fernsehen.

„Damaskus“, im Original erschienen 2021, ist ihr erster Roman. Er wurde von Det Danske Kriminalakademi mit dem Debütpreis ausgezeichnet. Der Roman soll als Fernsehserie verfilmt werden. Zurzeit schreibt Iben Albinus an einem zweiten Roman mit Sigrid Melin, der Protagonistin aus „Damaskus“.

Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Söhnen im Teenageralter in Frederiksberg, einer eigenständigen Stadt, die als Enklave ganz von Kopenhagen umgeben ist.


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