Auftragskiller, Drogenhändler und Vergewaltiger in der australischen Provinz

Die ersten Sätze
Lovelock und Pym. Hörte sich an wie irgendein Showbusiness-Duo – Magier vielleicht, oder Folksänger.
In Wirklichkeit arbeiteten sie für Hector Kaye, der früher mal zu den
Bandidos aus Kings Cross in Sydney gehört hatte. Bevor er seriöser Geschäftsmann wurde und begann, Crystal Meth aus China zu importieren.

Krimi der Woche ∙ N° 29/2023 ∙ Hanspeter Eggenberger

Das aus der gar nicht so weit entfernten Grossstadt Melbourne auf die Mornington-Halbinsel gekommene Killerduo ist mit den ländlichen Gegebenheiten nicht vertraut. Ihr Einsatz endet zwar mit dem auftragsgemässen Ableben eines Junkies, doch sonst läuft alles schief. Sie werden nach dem Entsorgen der Leiche von einem Einheimischen gesehen. Und sehen sich genötigt, diesen zu töten. Dann geraten sie in einen selbst verursachten Buschbrand.

So beginnt „Funkloch“, der neueste Roman des Australiers Garry Disher. Es ist der siebte mit Inspector Hal Challis (problemlos lesbar ohne die anderen Challis-Krimis zu kennen). Mit den Toten im ausgebrannten Mercedes und einer Drogenküche im Brandgebiet beginnen die Ermittlungen von Challis und seinem Team. Die rufen rasch Senior Sergeant Serena Coolidge von der Drogenfahndung in Melbourne auf den Plan. Derweil erweitert sich der Fall zu verschiedenen, miteinander in unterschiedlichen Zusammenhang stehende Fällen: zwei tote Killer, ein verschwundener Junkie, ein erschossener Mann, dessen Hof voll geklauter Landmaschinen steht, ein Drogenhandelsnetz auf der Halbinsel, ein an Drogenhändler verkauftes Kind und so weiter.

„Cool Bitch“ nennen die Beamten im ländlichen Waterloo die ehrgeizige Drogenfahnderin Coolidge, die sich einmischt und sich nicht nur mehr und mehr der Fälle unter den Nagel reissen will, sondern auch ein begehrliches Auge auf Challis wirft. Doch dieser erliegt Coolidges forschem Charme nicht, ist er doch happy mit Ellen Destry. Ellen leitet die regionale Abteilung für Sexualverbrechen, und ihre Fälle, darunter insbesondere die Jagd nach einem unheimlichen Serienvergewaltiger, erweitern die an sich schon facettenreiche Geschichte noch mehr. Querelen und Kompetenzstreitigkeiten bei der Polizei und haben ebenso Platz wie das zwischenmenschliche Verhalten der Protagonisten sowohl im beruflichen wie im privaten Bereich.

Ein Thema sind auch die Entwicklung und die Probleme auf der Peninsula, wo sich die Bevölkerung in den Jahren, seit Challis dort tätig ist, verdoppelt hat, „was den Politikern zufolge auf eine gesunde Wirtschaft hindeutete“. Was jedoch einen Preis hat: „Polizei und Wohlfahrtseinrichtungen hingegen wussten, dass dieser Fortschritt auch zu sozialen Notlagen und Kriminalität geführt hatte, das die Mittel für Schulen, öffentlich Verkehrsmittel und das Aufstocken des Personals bei Polizei und Wohlfahrt hinterherhinkten.“

Gekonnt wie immer legt Disher die verschiedenen Handlungsstränge aus, um sie mehr und mehr zu verbinden. Beiläufig streut er Szenen aus dem privaten Leben der wichtigsten Personen ein, was diese noch fassbarer macht. Er erzählt immer scheinbar leichthändig, atmosphärisch, hart und spannend, aber auch mit viel leisem Humor und offensichtlich getrieben von einer tiefen Menschlichkeit. „Funkloch“ ist ein dichter Krimi, dessen Lektüre nicht nur höchst unterhaltsam, sondern bereichernd ist.

Wertung: 4,5 / 5

Garry Disher: Funkloch
(Original: Signal Loss. The Text Publishing Company, Melbourne 2016)
Aus dem Englischen von Peter Torberg
Unionsverlag, Zürich 2023. 350 Seiten, 24 Euro/ca. 32 Franken

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Bild: Darren James

Garry Disher,

geboren 1949 in Burra, South Australia, ist auf einer Farm in Südaustralien aufgewachsen und wollte schon als Kind Schriftsteller werden. Er studierte zunächst Geschichte an der Adelaide University und bereiste dann Europa und Afrika. Nach der Rückkehr schrieb er eine Masterarbeit an der Monash University. Gleichzeitig begann er Kurzgeschichten zu schreiben, und er erhielt ein Stipendium für ein Creative Writing Fellowship an der Stanford University. Während vielen Jahren lehrte er in Melbourne neben seiner schriftstellerischen Arbeit kreatives Schreiben.

Inzwischen ist er längst einer der bekanntesten australischen Schriftsteller. Er hat mehr als 50 Bücher veröffentlicht, neben Kriminalromanen auch andere Romane, Kinder- und Jugendbücher sowie Sachbücher zur Geschichte Australiens und über das Schreiben. 1996 wurde sein Roman „The Sunken Road“, der auf Deutsch nicht erschienen ist, für den Booker Prize nominiert.

Zu Dishers Krimis zählen insbesondere drei herausragende Serien. Mit dem jetzt erschienen Band „Funkloch“ umfasst die Serie mit Inspector Challis, der auf der Mornington-Halbinsel arbeitete, sieben Bände. In der 1991 gestarteten Reihe um den Berufsverbrecher Wyatt (Deutsch bei Pulp Master) sind bisher neun Bände erschienen. Seit 2020 sind drei Bände mit dem aufs Land verbannten Polizisten Paul „Hirsch“ Hirschhausen erschienen (Deutsch, wie die Challis-Serie, im Unionsverlag).

Mehrere von Dishers Krimis waren auf der Shortlist für den Ned Kelly Award, den wichtigsten Krimipreis Australiens, den er für zwei Bücher und schliesslich auch für sein Gesamtwerk gewann. Seine Bücher erscheinen auch in den USA und in Grossbritannien sowie in mehreren anderen Sprachen. Vor allem im deutschen Sprachraum sind sie sehr erfolgreich.

Garry Disher lebt auf der Halbinsel Mornington südöstlich von Melbourne im australischen Bundesstaat Victoria.


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