Der Mann, der sich um die Leichen kümmert

Der erste Satz
Ich sah wie die Scheinwerfer durch die Dunkelheit und den Nebel schnitten, die den Friedhof einhüllten.

Krimi der Woche ∙ N° 31/2023 ∙ Hanspeter Eggenberger

„Ich kümmere mich um die Leichen“, lässt uns der Icherzähler gleich im ersten Satz des ersten Kapitels wissen (nach einem kurzen „Prolog“, kursiv gedruckt, und für mich überflüssig, wie es solche Prologe meistens sind). Das sage er „immer, wenn die Leute mich fragen, womit ich mein Geld verdiene“. Das irritiert die Leute. „Ich könne natürlich einfach sagen, dass ich bei einem Beerdigungsinstitut arbeite, aber wo bliebe da der Spass?“

S. A. Cosby weiss, wovon er erzählt. Er hat tatsächlich als Bestatter gearbeitet, er wird auf der Website des Bestattungsinstituts seiner Frau noch heute als Mitarbeiter genannt. Der Ex-Marine Nathan „Nate“ Waymaker, der Held seines Krimidebüts „My Darkest Prayer“ – nach den grossartigen Romanen „Blacktop Wasteland“ und „Razorblade Tears“ (Deutsch: „Die Rache der Väter“) jetzt auch auf Deutsch erschienen –, arbeitet im Beerdigungsunternehmen seines Cousins Walt. Er hat mal als Deputy gearbeitet. Bis seine Eltern von einem Rassisten getötet wurden und er den weissen Kollegen, der die Untersuchungsakten dazu absichtlich verschlampte, im Sheriff’s Department durchs geschlossene Eingangsfenster geschmissen hat. Danach hat er „Dinge“ erledigt, „die die Cops nicht erledigen konnten oder wollten“.

Nach dem gewaltsamen Tod eines Predigers – ein ehemaliger Frisör, der hinter der Fassade seiner Kirche undurchsichtige Geschäfte betrieb –, wird Nathan von Gemeindemitgliedern engagiert, um diesem Mord, dem seine ehemaligen Kollegen bei der lokalen Polizei offenbar wenig Beachtung schenken, nachzugehen. Dabei muss er sich mit Gangstern und kleinen Ganoven, zwielichtigen Frömmlern und korrupten Polizisten herumschlagen. Und mit der Tochter des toten Pastors, die mit ihm die Schulbank drückte und inzwischen ein Pornostar ist.

Die Aktionen laufen rasch aus dem Ruder, und Nathan muss beim Bestattungsinstitut pausieren. „Ich werde nicht zurückkommen, bis es erledigt ist“, sagt er seinem Cousin. „Dann komme ich entweder durch den Vordereingang, oder rollst mich gleich hinten rein.“ Tatsächlich fliesst immer mal wieder Blut, und nicht alle Beteiligten kommen da lebend raus.

Figuren und Handlung wirken zuweilen etwas gar holzschnittartig, fast wie in einem Comic, die Finessen der späteren beiden Romane blitzen aber zwischendurch auch hier auf. Und wie in jenen geht es auch hier nicht nur um Gewalt und um die Fragen nach Recht und Gerechtigkeit, sondern zentral auch um Rassismus, sowohl den latenten im Alltag, wie den vorsätzlichen übler Gesellen.

Cosby erzählt mit Schwung und Witz, wobei hübsche, manchmal etwas überdrehte Metaphern einen immer wieder schmunzeln lassen. „Curtis war klein, aber so sauber und adrett wie neues Geld. Die Falten seiner Hose waren scharf genug, um Käse damit schneiden zu können“, heisst es einmal. „Es war ein spitzes, sprödes Geräusch“, wird das Lachen einer Frau beschrieben, „wie eine Glasscheibe, die in der Kälte splittert.“

Auch das Leben in den Südstaaten – der Roman spielt in seinem Heimatbundesstaat Virginia – nimmt Cosby immer wieder mal gerne aufs Korn. Zum Verhalten eines Kumpels von Nathan, der vor nichts zurückschreckt, schreibt er: „Es war eine abgedrehte Version dessen, was wir in den Südstaaten eine gute häusliche Erziehung nannten. Wenn du bei den Nachbarn bist, bitte nicht um etwas zu essen. Sag immer Sir und Ma’dam und ermorde niemanden im Haus deines Freundes, es sei denn man hat es dir ausdrücklich erlaubt.“

Wertung: 4,2 / 5

S. A. Cosby: My Darkest Prayer
(Original: My Darkest Prayer. Intrigue Publishing, Cheltenham MD 2019/Flatiron Books, New York 2022)
Aus dem Englischen von Jürgen Bürger
ars vivendi, Cadolzburg 2023. 279 Seiten, 24 Euro/ca. 35 Franken

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Bild: Sam Sauter

S. (Shawn) A. Cosby,

geboren 1973, ist in der ländlichen Region an den Ufern der Chesapeake Bay im Südosten des US-Bundestaats Virginia in einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Schon in seinen Jugendjahren wollte er Schriftsteller werden. Seine Mutter ermunterte ihn, als Übung Romane umzuschreiben, deren Ende er nicht mochte. Er stürzte sich dafür aufs Horror-Genre und wollte, wie er in einem Interview sagte, „ein afroamerikanischer Stephen King“ werden. Durch einen Onkel stiess er schon früh auf Kriminalliteratur, etwa von John D. MacDonald und Mickey Spillane.

Er studierte Englische Literatur an der Christopher Newport University in Newport News, Virginia, brach das Studium aber ab, um sich um seine erkrankte Mutter zu kümmern. Er arbeitete unter anderem als Gabelstapelfahrer, Landschaftsgärtner, Roadie, Bauarbeiter und Türsteher.

In einem kleinen Verlag veröffentlichte er 2019 sein Kriminalromandebüt „My Darkest Prayer“, das nach dem Erfolg des nächsten Romans von einem grösseren Verlag neu herausgegeben wurde und jetzt auch auf Deutsch vorliegt. Der Durchbruch kam 2020 nach dem renommierten Anthony Award für die Kurzgeschichte „The Grass Beneath My Feet“ mit dem Roman „Blacktop Wasteland“, der von der Kritik begeistert aufgenommen wurde und unter dem gleichen Titel auch auf Deutsch erschienen ist. Eine kleine Produktionsfirma hat die Filmrechte gekauft. gekauft. Für den nächsten Roman Cosbys, „Razorblade Tears“, der unter dem Titel „Die Rache der Väter“ auf Deutsch erschienen ist, hat sich das Hollywood-Studio Paramount die Rechte gesichert; Jerry Bruckheimer und Chad Oman werden den Film produzieren. In den USA ist 2023 sein neuer Thriller „All the Sinners Bleed“ erschienen.

S. A. Cosby ist verheiratet mit Kimberley Redmond, die in Shacklefords, Virginia, das Bestattungsinstitut J. K. Redmond Funeral Home führt, das sie von ihrem Vater übernommen hat. Cosby hilft da als Bestatter aus; auf der Website wird er nach wie vor als Mitarbeiter geführt. Das Paar lebt in Gloucester, Virginia.


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