Lakonische Melancholie und düsterer Humor

Der erste Satz
Les histoires d’amour finissent mal en géné … Ein Zeigefinger mit einem abgeknabberten Nagel beendet jäh den Song von Les Rita Mitsouko.

Krimi der Woche ∙ N° 45/2023 ∙ Hanspeter Eggenberger

Fabien hat seinen Vater in der Bretagne besucht. Als er nach drei Tagen zurück nach Paris kommt, wundert er sich, dass seine Frau Sylvie nicht in der Wohnung ist. Noch seltsamer wird es, als er einen Anruf erhält, seine Frau habe einen schweren Autounfall in der Gegend von Dijon gehabt. Was bloss hat sie dorthin gebracht? Fabien ist verwirrt. Und dann erfährt er, dass sie einen Liebhaber hatte. Und die beiden sind tödlich verunfallt. Möglicherweise war ein anderes Fahrzeug beteiligt.

Damit beginnt der Roman „Der Beifahrer“ des Franzosen Pascal Garnier (1949–2010) aus dem Jahr 1997. Ein Noir-Autor, den es auf Deutsch noch zu entdecken gilt. Ab 1996 hat er rund fünfzehn Romane (neben vielen Jugendbüchern) veröffentlicht, für die er mit mehreren Preisen geehrt wurde. Er spielt in einer ähnlichen Liga wie der famose Yves Ravey („Die Abfindung“, „Taormina“). Der Roman ist dicht und konzentriert, kein Wort ist zu viel. Und die Geschichte ist durchwirkt von lakonischer Melancholie und beiläufigem düsteren Humor. „Scheisse … Jetzt bin ich Witwer. Ein anderer Mensch. Was soll ich denn jetzt anziehen?“

Fabien reagiert seltsam unbeteiligt auf das Ableben seiner Frau. Die Beziehung schon seit längerem nur noch eine Gewohnheit, auf die man nicht einfach so verzichten kann. Im Leichenschauhaus in Dijon sieht er kurz die Witwe von Sylvies Liebhaber, Martine. Und er setzt sich in den Kopf, sich dafür zu rächen, dass ihr Mann seine Sylvie gevögelt hat, indem er sich Martine nimmt. Er beginnt ihr und ihrer älteren Freundin, die sie fast immer begleitet, nachzustellen. Er folgt den beiden Frauen in die Ferien nach Mallorca, wo er sich in das Leben der Freundinnen drängen kann. Zurück in Frankreich eskaliert die neue Beziehungsgeschichte. Ziemlich bald kommt es zu verhängnisvollen Entwicklungen mit fatalen Folgen.

„Liebesgeschichten enden meistens schlecht“, heisst es sinngemäss in dem Song der französischen Pop-Duos Les Rita Mitsouko, der am Anfang des Romans im Autoradio abrupt abgewürgt wird. Und dass sie in einem Noir-Roman schlecht endet, ist absehbar. Wobei „Der Beifahrer“ eigentlich gar keine Liebesgeschichte ist. Es geht viel mehr um das Fehlen von Liebe in Beziehungen. Und vor allem um Einsamkeit. Für die man nicht allein sein muss. Im Gegenteil. Fabien „war nicht unfähig, allein zu leben“, heisst es einmal, „aber die Einsamkeit war für ihn nur in Begleitung denkbar.“

Es ist erfreulich, dass der Wiener Septime Verlag weitere Titel von Pascal Garnier auf Deutsch herausbringen will. Dass im Impressum von „Der Beifahrer“ weder der Originaltitel („La Place du mort“) noch das Originalerscheinungsjahr (1997) genannt werden, ist ein unschönes Detail, das einem Versehen oder Gedankenlosigkeit geschuldet sein mag. Zu hoffen ist, dass diese Angaben bei weiteren Titeln nicht wieder vergessen gehen.

Wertung: 4,4 / 5

Pascal Garnier: Der Beifahrer
(Original: La Place du mort. Fleuve Noir, Paris 1997)
Aus dem Französischen von Felix Mayer
Septime Verlag, Wien 2023. 139 Seiten, 20 Euro/ca. 28 Franken

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Bild: Editions Zulma

Pascal Garnier,

geboren 1949 in Paris, gestorben 2010 in Valence, hat mit 15 Jahren die Schule und seine Familie verlassen. Er hat sich dann einige Jahre in der Welt herumgetrieben, vor allem in Nordafrika, im Nahen Osten und in Asien.

Mit 25 kehrte nach Frankreich zurück, wo er sich zunächst mit kleinen Gelegenheitsjobs beschäftigte, bevor er sich mit 35 der Schriftstellerei zuwandte. Ab 1996 bis zu seinem Tod veröffentlichte er rund fünfzehn Kriminalromane, daneben eine grosse Zahl von Jugendbüchern. Er wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet.

Längere Zeit lebte er in Lyon, dann in einem kleinen Dorf in der Ardèche im Südosten Frankreichs. Wenn er nicht schrieb, reiste oder malte er. Er starb mit 60 Jahren in einem Spital in Valence an Bauchspeicheldrüsenkrebs.


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