Hilflose Sklaven der Liebe

Der erste Satz
Ich sehe jetzt alles klarer.

Krimi der Woche ∙ N° 49/2023 ∙ Hanspeter Eggenberger

Er liebe sie, aber er bereue nichts, erklärt uns der Icherzähler gleich auf der ersten Seite. „Wären nicht ausgerechnet wir beide uns begegnet, wäre ich nie zum Mörder geworden, und sie wäre nie ein Opfer geworden.“ Von Anfang an ist klar: Der Icherzähler, dessen Namen wir nicht kennen, hat die Frau, die er liebt, getötet. Auf den folgenden rund 140 Seiten erzählt er, wie es, aus seiner Sicht, so gekommen ist.

„Der Tod ist eine Liebkosung“, erschienen 1948, ist der einzige Roman des norwegischen Autors, Kunsthistorikers, Journalisten, Juristen und Politikers Arve Moen (1912–1976). Die Verfilmung von Edith Carlmar – es war der erste norwegischen Film, den eine Frau realisierte – im Jahr darauf warf Wellen in Norwegen. „Der Film erregte in der Öffentlichkeit des Nachkriegsnorwegen wegen seines Spiels mit der Rollenverteilung zwischen Mann und Frau, der für die damaligen Zeit sehr mutigen erotischen Andeutungen (verbal und visuell), seiner Thematisierung der Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs sowie des düsteren Tones grosse Aufmerksamkeit“, heisst es auf Wikipedia zu „Døden er et kjærtegn“, so der Originaltitel. „Ihm wurde u. a. Pornographie und moralische Verwerflichkeit vorgeworfen. Die Regisseurin Edith Carlmar wurde während der Laufzeit des Filmes in Oslo mit dem Tode bedroht, die Kommune Kristiansand verweigerte eine öffentliche Aufführung.“

Als Automechaniker in einer Werkstätte lernt der Protagonist eine verheiratete Frau aus der Oberschicht kennen, die ein Problem mit ihrem Mercedes Cabriolet hat. Zwischen den beiden gibt es eine Anziehung, die beide spüren, und schon bald taucht die Frau unter einem Vorwand erneut in der Werkstatt auf. Zwischen dem ungleichen Paar entwickelt sich rasch eine Beziehung. Als er seiner sitzengelassenen Verlobten „irgendeine Lügengeschichte auftischen“ müsste, kneift er: „Heute war ich mutig genug, feige zu sein.“

Den Anfang seiner neuen Beziehung beschreibt er als „nett“. „Alles, was wir sagten, war neutrales, unpersönliches Geplauder ohne doppelten Boden. Die Wörter waren noch keine Waffen geworden, und wir hatten noch nichts zu verteidigen oder zu rächen.“ Dass sich das ändern wird, kündigt sich schon früh an. Doch die Dame lässt sich zunächst scheiden, heiratet den Automechaniker und finanziert ihrer beider Lebensunterhalt. Derweil wird das Verhältnis zwischen den beiden zunehmend obsessiv. Ihre Eifersuchtsanfälle und sein Jähzorn sind eine explosive Kombination. „Ich bin mir heute noch sicher, dass der Auslöser der Reibereien in der Angst begründet lag, wir könnten einander verlieren“, schreibt der Mann im Gefängnis. „Wir waren hilflose Sklaven unserer Liebe und voller Zweifel, ob sie auch ausreichend stark und innig erwidert wurde.“

„Der Tod ist eine Liebkosung“ ist ein Noir-Roman, der praktisch ausschliesslich – bis auf kurze Einschübe aus den Gerichtsakten – aus der Sicht des Täters erzählt ist. Dieser lässt zwischendurch durchblicken, dass seine aufbrausende Art und seine teils harten Reaktionen auf die Stimmungen und Vorwürfe seiner Frau durchaus mitschuldig sind an der fatalen Entwicklung der Ehe. Doch hinter all den erbitterten Worten habe „ein Hoffen und ein Flehen nach Liebe“ gestanden. Arve Moen ist die eindrückliche Schilderung einer Amour fou gelungen, die böse endet.

Wertung: 4 / 5

Arve Moen: Der Tod ist eine Liebkosung
(Original: Døden er et kjærtegn. Aschehoug forlag, Oslo 1948)
Aus dem Norwegischen von Bernhard Strobel. Mit einem Nachwort von Helene Flood
Septime, Wien 2023. 153 Seiten, 20 Euro/ca. 28 Franken

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Arve Moen,

geboren 1912 in Åsen, gestorben 1976 in Oslo, einem kleinen Ort in Norwegen an der östlichen Grenze zu Schweden, war Jurist, Kunsthistoriker, Journalist und Schriftsteller. Er schloss 1936 ein Studium der Rechtswissenschaften ab und studierte später Kunstgeschichte. In jungen Jahren war er Mitglied von Mot Dag, einer kommunistischen Vereinigung norwegischer Intellektueller. Vor dem Zweiten Weltkrieg wirkte er als Gerichtsreferendar.

Ab 1945 schrieb er für die sozialdemokratische Tageszeitung „Arbeiderbladet“, bei der er von 1955 bis 1974 als Kulturredakteur wirkte. Unter anderem war er Vorsitzender der Vereinigungen der norwegischen Literaturkritiker und der Filmkritiker sowie Vorsitzender des literarischen Rats der Vereinigung norwegischer Schriftsteller. Von 1960 bis 1971 war er für die sozialdemokratische Arbeiderpartiet (Arbeiterpartei) Mitglied des Stadtrats von Oslo.

Als Autor veröffentlichte er 1948 seinen einzigen Roman, „Der Tod ist eine Liebkosung“. Er wurde 1949 von der norwegischen Schauspielerin und Regisseurin Edith Carlmar verfilmt; es war der erste norwegische Film, der von einer Frau inszeniert wurde und der erste Film Noir in Norwegen. Der Film löste damals heftige Kontroversen aus, ihm wurde Pornografie um moralische Verwerflichkeit vorgeworfen, und die Filmemacherin wurde mit dem Tod bedroht.

Arve Moen ist zudem Autor eines dreibändigen kunsthistorischen Werks über den norwegischen Künstler Edvard Munch, das von 1956 bis 1958 erschien. Ausserdem veröffentlichte er Kurzgeschichten, ein Kinderbuch sowie einen Reisebericht.


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