Der Dope-König von Harlem

Der erste Satz
»Also Viper«, sagte die Baroness, »was sind deine drei Wünsche?«

Krimi der Woche ∙ N° 36/2025 ∙ Hanspeter Eggenberger

Jazztrompeter will Clyde Morton als junger Mann werden. Im September 1936 nimmt er seinen Trompetenkoffer und steigt in Meachum, Alabama, in den Zug nach New York City. Wo er gleich in den Stadtteil Harlem geht, ins „Zentrum des afro-amerikanischen Universums“. Beim Vorspielen im Club „Mr. O’s“ ist das Verdikt hart und direkt: Null Talent, bescheinigt ihm der Bandleader und Bassist Pork Chop Bradley. Doch der Musiker, der Clydes bester Freund werden soll, macht ihn mit „Mary Warner“ bekannt: Marihuana, „das Elixier der Kreativität“, sagt Pork Chop, „alle Jazzmusiker haben an Mary Warners Zitzen gesaugt“. Unter dem Spitznamen Viper wird Clyde Morton schnell zum Dope-Dealer, zunächst in Diensten von Mr. O., einem jüdischen Geschäftsmann und Gangster.

Nach „Das schwarze Chamäleon“ ist „Viper’s Dream“ der zweite Roman des in Paris lebenden afroamerikanischen Autors Jake Lamar, der auf Deutsch erscheint, wiederum übersetzt von Robert Brack, der selbst ein begnadeter Krimiautor ist. Es ist die faszinierende Geschichte des Aufstiegs des Jungen aus Alabama zur ebenso geliebten wie gefürchteten Figur, die nicht nur Jazzgrössen mit Weed, Reefer, Mary Jane oder wie immer der Stoff genannt wird, versorgt – mit den zunehmend aufkommenden harten Drogen wie Heroin will Viper nichts zu tun haben. Aber auch sein Business ist illegal, und Gewalt und Tod sind da nicht weit. Neben der Gangstersaga schildert Lamar die Jazzszene im New York der Dreissiger- und Vierzigerjahre und dann die Zeit des aufregenden neuen Bebops, den Viper Morton nach vier Weltkriegsjahren in der Navy zurück in New York kennenlernt. Nicht fiktive, sondern echte Grössen wie Charlie Parker, Miles Davis, John Coltrane und Thelonious Monk bevölkern die atmosphärisch erzählte Geschichte, die 1961 endet, im Geburtsjahr des Autors.

Zu den realen Figuren zählt auch die Baroness Pannonica de Koenigswarter, von ihren Freunden Nica genannt; die reiche Nachfahrin der englischen Rothschilds war eine Förderin des Modern Jazz. In ihrer Suite im Stanhope Hotel an der Fifth Avenue starb der heroinabhängige Charlie „Bird“ Parker. Im „Cathouse“ der Baroness auf der anderen Seite des Hudson River in Weehawken, New Jersey, beginnt und endet „Viper’s Room“ im November 1961. Nica möchte, dass Viper seine drei Wünsche auf einen Zettel notiert. Sie lässt das vor allem von Jazzern machen und sammelt ihre Antworten. Clyde Viper Morton tut sich schwer damit, bis er als ersten Wunsch notiert: „Ich wünschte, ich hätte meine Heimat nie verlassen.“ Denn inzwischen wird der kleine König von Harlem, als den er sich sah und auch andere ihn sehen, von Selbstzweifeln geplagt. Trotz allem Ruhm und Wohlstand findet er sein Glück nicht. Seine grosse Liebe Yolanda stürzt ihn jedes Mal, wenn er wieder versucht, mit ihr zusammen zu sein, in neue Verzweiflung. Seinen Freunden kann er immer weniger vertrauen. Seine Familie hat sich schon längst von ihm distanziert. So verbindet Jake Lamar in „Viper’s Dream“ ein bedeutendes Stück der Schwarzen Musikgeschichte und ein Zeitbild vom Harlem der Dreissiger- bis Fünfzigerjahre mit einer harten Gangsterstory virtuos zu einem Noir-Krimi, der im Rhythmus des Modern Jazz pulsiert.

Wertung: 4,2 / 5

Jake Lamar: Viper’s Dream
(Original: Viper’s Dream. No Exit Press, London 2023)
Aus dem Englischen von Robert Brack
Edition Nautilus, Hamburg 2024. 205 Seiten, 20 Euro/ca. 30 Franken

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Bild: Dr. Michael Cheers / Ed. Nautilus

Jake Lamar,

geboren 1961 in New York, wuchs in der Bronx auf. Nach dem Abschluss des Studiums an der Harvard University war er während sechs Jahren als Journalist für das Magazin „Time“ tätig.

Sein erstes, autobiografisches Buch „Bourgeois Blues“ (1991) wurde mit dem Lyndhurst-Preis ausgezeichnet. Inspiriert durch amerikanische Autoren wie F. Scott Fitzgerald, Ernest Hemingway, Gertrude Stein, Richard Wright und James Baldwin zog er 1993 nach Paris, wo er an der Universität Science Po in Paris kreatives Schreiben unterrichtete. Inzwischen hat er acht Romane veröffentlicht.

„If 6 were 9“ (2001), sein viertes Buch und der erste Kriminalroman, war 2024 sein erster Titel auf Deutsch: „Das schwarze Chamäleon“. Sein neuester Krimi „Viper’s Dream“, der in der Jazzszene in Harlem zwischen 1936 und 1961 spielt, erschien zunächst 2021 auf Französisch und erst 2023 auf Englisch; 2024 wurde er mit dem CWA Historical Dagger Award geehrt.

Jake Lamar lebt in Paris im 18. Arrondissement. In Frankreich ist er ein bekannter Autor, während man ihn in den USA nur wenig kenn. Zurzeit arbeitet er an einem autobiografischen Buch über sein Leben in Paris.


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