Echte und metaphorische Sümpfe in Louisiana

Der erste Satz
Diese Geschichte über Louisiana spielt in den späten Neunzigerjahren, vor Katrina und vor 9/11, als mein Podjo Dave Robicheaux und ich unsere Zeit zwischen New Orleans und New Iberia aufteilten, unten am Golf, im Herzen des Dixie, wo an Weihnachten 22 Grad herrschen.

Krimi der Woche ∙ N° 37/2025 ∙ Hanspeter Eggenberger

Eigentlich wurde vor zwei Jahren schon „Verschwinden ist keine Lösung“ als letzter Roman mit Dave Robicheaux angekündigt. Doch James Lee Burke, der im nächsten Jahr 90 Jahre alt wird, schreibt unentwegt weiter. Jetzt ist nicht nur „Flags on the Bayou“ (2023; Deutsch: „Im Süden“, btb), eine Kriminalgeschichte aus der Bürgerkriegszeit, auf Deutsch erschienen, sondern auch der 24. Robicheaux-Roman. „Clete“ ist der Titel, und wir alle, die diese Reihe von Burke gerne lesen, wissen, dass das der Name von Robicheaux’ Buddy ist: Cletus „Clete“ Purcel. Doch es ist nun nicht so, dass uns da Dave von Clete erzählen würde. Nein, hier ist Clete der Erzähler.

Der überraschende Kunstgriff gibt Burke die Möglichkeit, den sonst von sich selbst erzählenden Protagonisten quasi von aussen zu betrachten. Das geht dann schon auf der ersten Seite so: „Dave Robicheaux sagte mal, wer Louisiana liebt, liebt die Hure Babylon. Ich sagte, stimmt, aber wenigstens hat man Spaß. Diese Bemerkung hat Dave eindeutig nicht gefallen, er nannte sie vulgär und einfältig. Dave hätte Priester werden sollen statt Cop, dann hätte er aus seinem Leben auch nicht so ein Schlamassel gemacht, und Leute wie ich müssten ihn nicht vor sich selbst beschützten.“

Das hat einen gewissen Reiz. Doch auch wenn sich Robicheaux und Purcel auf den ersten Blick stark unterscheiden mögen – Dave arbeitet für das Sheriff Department in New Iberia, ist eher in sich gekehrt, lebt, jedenfalls fast immer, abstinent, pocht, zwar nicht ganz immer, auf die Einhaltung gewisser Regeln; Clete ist Privatermittler in New Orleans und New Iberia, ist extrovertiert, säuft und kifft, schert sich einen Scheiss um Regeln –, ticken sie doch im gleichen Takt. Beide werden heute noch von Alpträumen aus dem Vietnamkrieg verfolgt, beide kennen kein Pardon, wenn Frauen, Kinder, Arme und Wehrlose misshandelt werden, hassen alte und neue Nazis und haben etwas gegen Typen, die Kriege anfangen oder davon profitieren, aber nicht selbst daran teilnehmen. Sie wollen ihr Möglichstes tun, damit die Welt, auch im Kleinen, besser wird. Grosse Illusionen machen sie sich da allerdings nicht. Trotzdem bemühen sie sich, denn, wie es Clete einmal salopp formuliert: „Alle landen in derselben Scheune. Was zählt, ist, wie man dorthin kommt.“

In diesem Roman erzählt Clete von einem reichlich verworrenen Fall, bei dem vor Jahren nicht Drogen, wie er zunächst annahm, sondern ein gefährliches Gift in seinem 1959er Cadillac Eldorado Coupé – ein Modell mit riesigen Heckflossen – versteckt wurde. Üble Subjekte suchen jetzt nach dem verschwundenen Stoff und behelligen nicht nur Clete, sondern auch Freundinnen von ihm. Bei der Suche nach den Hintermännern stossen Clete und Dave, der seinem besten Freund natürlich hilft, an den Bayous und Sümpfen im Süden Louisianas auf reihenweise widerliche Zeitgenossen, darunter ein Schneeballsystem-Finanzhai, ein skrupelloser Kleingangster, der selbst seinen Bruder reinlegt, Neonazis mit „6 Millionen sind nicht genug“-T-Shirts und korrupte oder einfach nur ekelhafte Polizisten. Clete möchte den einen oder anderen gerne endgültig aus dem Verkehr ziehen, „aber die Leute, die man umlegt, haben die lästige Angewohnheit, neben deinem Bett aufzutauchen“. So muss er sich halt damit begnügen, dem Finanzhai eine Ladung Beton in das Wohnzimmer seiner noblen Südstaatenvilla zu kippen.

Daneben ufert die Geschichte, wie immer bei Burke, zuweilen aus in allgemeine Betrachtungen zum Leben und zur Lage. Manche – an sich nicht falsche – Moralpredigt ist vielleicht etwas penetrant und redundant, und Clete wird etwas oft von Erscheinungen der Jeanne d’Arc heimgesucht. Doch „Clete“ ist ein typischer Robicheaux-Noir, der ein düsteres Bild der Welt und vor allem des US-Bundestaates Louisiana zeigt. Situationskomik und trockener Humor tragen neben Burkes unverwechselbarem Erzählstil dazu bei, dass man gut unterhalten wird, auch wenn die Geschichte noch so böse ist.

Wertung: 4 / 5

James Lee Burke: Clete
(Original: Clete. Atlantic Monthly Press, New York 2024)
Aus dem Englischen von Jürgen Bürger
Pendragon Verlag, Bielefeld 2025. 346 Seiten, 24 Euro/ca. 35 Franken

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Bild: Robert Clark

James Lee Burke,

geboren 1936 in Houston, Texas, wuchs im Grenzgebiet von Texas und Louisiana an der Golfküste der USA auf. Er studierte Literatur an der University of Louisiana in Lafayette und an der University of Missouri in Columbia.

Er veröffentlichte in den 1960er-Jahren seine ersten Bücher, die von der Kritik gelobt wurden. Nachdem sein Roman „Lay Down My Sword & Shield“ (Deutsch unter dem Titel „Zeit der Ernte“ 2017 bei Heyne) 1971 floppte, bekam er für sein viertes Buch, „The Lost Get-Back Boogie“, über hundert Absagen (nachdem es fünfzehn Jahre später doch noch erschien, wurde es für den Pulitzer-Preis nominiert), und es dauerte dreizehn Jahre, bis er sein nächstes Buch veröffentlichen konnte. Burke arbeitete derweil in verschiedenen Jobs, unter anderem als Lastwagenfahrer und als Reporter, als Sozialarbeiter in Los Angeles und in einem Arbeitsprogramm für arbeitslose Jugendliche in Kentucky. In den 1980ern lehrte er kreatives Schreiben an der Wichita State University in Kansas.

1987 startete er mit „The Neon Rain“ („Neonregen“) die Serie um Dave Robicheaux, einen Ermittler in Louisiana, die inzwischen 24 Romane umfasst, die auf Deutsch alle vom Pendragon Verlag erstmals oder neu veröffentlicht wurden. Mit Robicheaux hatte Burke erstmals grossen Erfolg, und er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Die Romanreihe erscheint fast in der ganzen Welt. Daneben gibt es die inzwischen 13 Bände umfassenden Holland-Saga (die meisten gibt es auf Deutsch bei Heyne), in denen es um verschiedene Mitglieder und Generationen der texanischen Familie Holland geht. Soeben ist auf Deutsch auch der Standalone „Im Süden“ (btb; Original: „Flags on the Bayou“, 2023) erschienen. Mehrere weitere Werke, darunter vor allem die ganz frühen, sind nicht ins Deutsche übertragen worden. Insgesamt hat Burke bisher mehr als 40 Romane veröffentlicht. Zwei Robicheaux-Romane wurden fürs Kino verfilmt: „Heaven’s Prisoner“ (1996, Regie: Phil Joanou, mit Alec Baldwin, Kelly Lynch, Mary Stuart Masterson; deutscher Titel: „Mississippi Delta – Im Sumpf der Rache“) und „In the Electric Mist“ (2009, Regie Bertrand Tavernier, mit Tommy Lee Jones, John Goodman, Mary Steenburgen, Ned Beatty; deutscher Titel: „Mord in Louisiana“). Der Roman „Two for Texas“ aus der Holland-Reihe wurde fürs Fernsehen verfilmt (1998, Regie: Rod Hardy, mit Kris Kristofferson).

Mit seiner Frau, Pearl Pai Chu, hat James Lee Burke vier Kinder. Tochter Alafair Burke, geboren 1969, studierte Juristin, ist ebenfalls als Krimiautorin erfolgreich. Burke lebt mit seiner Frau auf einer Ranch in Lolo in der Nähe von Missoula in Montana und, wie sein Held Dave Robicheaux, in New Iberia in Louisiana.


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