Rache für den Mord am grossen Bruder (Kopie)

Der erste Satz
Inzwischen träume ich in Englisch.

Krimi der Woche∙ N° 11/2022 ∙ Hanspeter Eggenberger

Amy und Johnny Novak scheinen eine harmonische Ehe zu führen. Zusammen mit dem 12-jährigen Sasha zeigen sie das Bild einer glücklichen Familie in einem der westlichen Vororte von Sydney. Doch Johnny gehört zu einer kriminellen Familie, die aus Kroatien nach Australien eingewandert war. Amy ist in mittelständischem Milieu aufgewachsen. Johnny kümmert sich vor allem um eine Reihe von Fischläden, welche die Familie für die Geldwäsche betreibt. Er hat es bisher „geschafft, niemanden zu töten, und dabei soll es bleiben“. Doch dann wird sein grosser Bruder Ivan erschossen. Und Johnny soll nicht nur dessen Rolle in der Familiengang einnehmen, sondern seinen Bruder auch rächen. Für Vater Novak ist klar: Das können nur die Serben gewesen sein.

„Der zweite Sohn“ heisst der Debütroman der Australierin Loraine Peck. Bevor sie sich entschloss, Krimis zu schreiben, war sie unter anderem während 25 Jahren international im Marketing im Retail- und im Immobilienbereich tätig. Inspiriert zu ihrem ersten Roman hatten sie die Erzählungen ihres Mannes aus seiner Kindheit und Jugend in einer Familie von Kriminellen aus Kroatien. Er habe sich jedoch, sagte Peck in einem Interview, „bewusst dafür entschieden, von dem scheinbar einfachen Weg in die Kriminalität abzuweichen“.

Das möchte eigentlich auch Johnny Novak, der aber schon mitten in den Verbrechen steckt. Seine Frau drängt ihn auf den Ausstieg, vor allem wegen dem Kind, das nicht auf den gleichen Weg gezwungen werden soll. Doch Johnny ist unter der Knute seines Vaters, der ihn dazu ausersehen hat, die angeknackste Ehre der Familie wiederherzustellen.

Loraine Peck erzählt die spannende und actionreiche Geschichte abwechselnd aus der Sicht von Amy und von Johnny. Damit bekommt der Gang-Thriller eine für das Subgenre ungewohnte Perspektive: die einer Frau, die das ganze Macho-, Ehre- und Rachegetue der Ganoven in der Familie für einen Vorwand hält, ihre kriminelle Energie auszuleben. Doch der Ausstieg daraus erweist sich als schwierig, und dies nicht nur wegen der Familie. Als Amy und Sasha von gegnerischen Gangstern entführt werden, muss Johnny seine Zurückhaltung ablegen.

Interessant ist in dieser Vorstadtgangstergeschichte der ethnische Hintergrund. Geprägt durch die Auseinandersetzungen in Ex-Jugoslawien führen die kroatischen und serbischen Einwanderer den Krieg gegeneinander in Australien weiter. Hier zwingen sie die Umstände aber auch einmal an einen gemeinsamen Tisch. „Wenn ich sie so im höflichen Gespräch zusammensitzen sehe“, denkt Amy, „wird mir die Idiotie dieser andauernden nationalistischen Feindseligkeiten einmal mehr bewusst.“

Loraine Peck mag in ihrem Debüt teilweise etwas in Klischees abgleiten. Doch auch wenn sie nicht auf dem Niveau einer Candice Fox oder eines David Wish-Wilson steht, verfügt sie über genügend Erzähltalent, um ihr Debüt zu einem interessanten Beispiel der blühenden Down-under-Krimiszene zu machen.

Wertung: 3,5 / 5 

Loraine Peck: Der zweite Sohn
(Original: The Second Son. The Text Publishing Company, Melbourne 2021)
Aus dem Englischen von Stefan Lux
Suhrkamp, Berlin 2022. 424 Seiten, 16,95 Euro/ca. 25 Franken

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Bild: David Clare

Loraine Peck,

geboren in den 1960er Jahren in Australien, gibt an, Porträtmalerin und Assistentin eines Magiers in Sydney gewesen zu sein. Nachdem sie einmal zu viel in zwei Hälften gesägt worden sei, habe sie zum Blackjack in die Tourismusstadt Gold Coast gewechselt. Nach einem Job als Barkeeperin und Hummerverkäuferin in den USA arbeitete sie in der Filmindustrie im Sales-Bereich. Dann wechselte sie zu einer Karriere im Marketing, in der sie während 25 Jahren für Grossprojekte in Australien, Dubai, Macao, Korea, Manila, Hongkong, Grossbritannien und in den USA tätig war. Unter anderem arbeitete sie an Projekten für eine der grössten Shoppingcenter-Gruppen der Welt und war Marketing-Direktorin beim globalen Immobilienunternehmen Saville.

2016 wurde bei ihr Eierstockkrebs diagnostiziert. Sie hatte Glück und konnte die Erkrankung überwinden. Da die Sterblichkeitsrate bei Frauen mit gynäkologischen Krebserkrankungen relativ hoch ist, setzt sich Loraine Peck seither für eine bessere Finanzierung der entsprechenden Forschung ein, und sie wirkt als Vorstandsmitglied in der Australian Gynaecological Cancer Foundation mit.

Peck gab ihre Business-Jobs auf, um eine neue Karriere als Krimiautorin zu starten. Sie absolvierte 2017 eine Schreibkurs des Writers Studio in Sydney, wo sie bereits an ihrem Romandebüt arbeitete. „The Second Son“, jetzt unter dem Titel „Der zweite Sohn“ auf Deutsch erschienen, wurde 2021 in Australien mit dem Ned Kelly Award für den besten Erstlingskrimi ausgezeichnet.

Inspiriert zur Geschichte über eine kroatischstämmige Gangsterfamilie in der Region Sydney hat Peck die Geschichte ihres Mannes, der in einer solchen Familie aufgewachsen ist, sich dann aber vom vorgezeichneten Weg in die Kriminalität abwandte. Loraine Peck und ihr Mann leben Sydney und in Gold Coast.


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