Leben und Sterben in Edinburgh

Der erste Satz
Umgeben von toten Menschen fühlte Dorothy sich zu Hause.

Krimi der Woche ∙ N° 47/2023 ∙ Hanspeter Eggenberger

Bei den Skelf-Frauen in Edinburgh geht es wieder um Leben und Tod. Nicht nur metaphorisch, sondern wirklich. Klar: Dorothy Skelf, deren Tochter Jenny und Jennys Tochter Hannah betreiben nicht nur ein Bestattungsinstitut, sondern auch eine Privatdetektei. Die Küche des Skelf-Hauses dient dabei als Zentrale. Da stehen zwei Whiteboards, eines für die anstehenden Bestattungen, eines für die Aufträge der Detektei. Aber auch im zweiten Band der Skelf-Saga von Doug Johnstone, „Eingefroren“, sind die Skelfs immer wieder auch durch die hauseigenen Geschichten herausgefordert.

Dabei geht es vor allem um den Ex von Jenny und Vater von Hannah, der im Gefängnis sitzt, nachdem er eine Freundin von Hannah ermordet hat und seine Ex-Frau schwer verletzt hat. Nachdem er ursprünglich gestanden hatte, macht er jetzt plötzlich verminderte Zurechnungsfähigkeit geltend, und der Fall soll schnell vor Gericht kommen. Doch denn Skelfs ist klar, dass der charmante Psychopath Übles im Sinn hat.

Was Hannahs Vater vor hat, hält das Frauen-Trio in Bann. Derweil geht Dorothy zwischen Bestattungen dem Verschwinden eines Mädchens nach, dem sie Schlagzeugunterricht gibt. Und Hannah, die Physik studiert, wird mit dem Suizid eines betagten Professors, mit dem sie sich angefreundet hat, konfrontiert. Ebenfalls auf eigene Rechnung versucht das Trio die Identität eines toten Obdachlosen zu ermitteln. Dieser war während einer Bestattung mit einem gestohlenen Auto, verfolgt von einer Polizeistreife, auf den Friedhof gerast und im offenen Grab tödlich verunglückt.

Wie dieser Unfall auf dem Friedhof lässt Johnstone Actionszenen gerne mal ins Slapstick-Artige kippen. Wie er überhaupt die ganze Geschichte, die aus vielen kleinen Geschichten besteht, mit Schalk und reichlich schwarzem Humor souverän über die Runden bringt. Denn die alles andere als realistische Anlage mit drei Frauen aus drei Generationen, die zugleich im Geschäft mit Toten und mit Ermittlungen tätig ist, könnte schnell einmal in Sauglattismus abgleiten. Doch Johnstone passiert dies nicht, dafür ist er ein zu guter Erzähler, der in „Eingefroren“ noch einen Zacken flotter zur Sache geht als im ersten Skelf-Roman „Eingeäschert“. Der Roman ist höchst unterhaltsam, aber nie simpel oder platt. Ob er das auch über eine längere Strecke schafft, wird sich weisen müssen – im Original liegen bereits fünf Bände mit den Skelf-Frauen vor, zwei weitere sind in Vorbereitung.

Johnstone nutzt seine vielfältige Geschichte auch für allerlei Betrachtungen und Kommentare über das Leben – und auch das Sterben – in Schottland beziehungsweise in Edinburgh. Und über das Wesen der Schotten. „Schottischen Männern ging’s immer ,gut’, selbst wenn sie an Selbstmord dachten, verzweifelt versuchten, klarzukommen, ihren Willen oder ihren Verstand verloren.“

Wertung: 4,1 / 5

Doug Johnstone: Eingefroren
(Original: The Big Chill. Orenda Books, London 2020)
Aus dem Englischen von Jürgen Bürger. Mit einem Nachwort von Ulrich Noller
Polar Verlag, Stuttgart 2023.  393 Seiten, 26 Euro/ca. 36 Franken

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Bild: Chris Scott

Doug Johnstone,

geboren 1970, wuchs in der an der schottischen Ostküste zwischen Edinburgh und Aberdeen gelegenen Kleinstadt Arbroath auf, beide Elternteile waren Lehrer. Schon als Schüler hat er gerne Geschichten geschrieben, doch nach der Schule studierte er an der Universität in Edinburgh Physik und promovierte in Atomphysik. Gleichzeitig hat er auch immer geschrieben, zunächst vor allem als Musikjournalist, da er auch selbst Musiker ist. Nach dem Studium arbeitete er als Ingenieur für Radarsysteme; da ihm das aber keinen Spass machte, wurde er schliesslich Journalist.

Mit Anfang 30 begann er an Romanen zu arbeiten; inzwischen zählt er zu den besten Krimiautoren Schottlands. Seit 2006 veröffentlichte er 16 Romane. Auf Deutsch ist 2021 „Der Bruch“ („Breakers“, 2019) erschienen, drei seiner früheren Romane sind ebenfalls ins Deutsche übersetzt worden: „Smokeheads“ (2012), „Hit & Run“ (2015) und „Gone Again“ (2015; Deutsch: „Wer einmal verschwindet“; die anderen beiden erschienen auf Deutsch mit dem Originaltitel). Mit „Eingeäschert“ (2022; Original: „A Dark Matter“, 2019) startete er erstmals eine Serie; „Eingefroren“ („The Big Chill“, 2020), ist der zweite Band, auf Englisch liegen bereits drei weitere Bände um die Frauen der Familie Skelf vor, und im September 2023 unterschrieb Johnstone einen Vertrag für zwei weitere Titel.

Als Musiker hat Doug Johnstone in verschiedenen Bands gespielt, darunter Northern Alliance, die mehrere Alben veröffentlichten. Auch als Singer/Songwriter unter seinem eigenen Namen veröffentlichte er Musik. Seit ein paar Jahren ist er Schlagzeuger bei den Fun Lovin’ Crime Writers, einer Band, die ausschliesslich aus schottischen Krimiautoren besteht. Neben Johnstone sind da Val McDermid, Mark Billingham, Chris Brookmyre, Stuart Neville und Luca Veste dabei. Ausserdem ist Johnstone Spieler und Manager des Scotland Writers Football Club, einer Schriftsteller-Fussballmannschaft.

Doug Johnstone ist ein vehementer Befürworter der Unabhängigkeit Schottlands vom Vereinigten Königreich. Er lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Edinburgh.


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