Trailerparks, Gewalt und Football

Der erste Satz
Kann immer noch fühlen, wie es in meinem Nacken brennt.

Krimi der Woche ∙ N° 17/2024 ∙ Hanspeter Eggenberger

American Football ist nicht so unser Ding hier in Europa. Ich habe mich nie wirklich damit befasst, mich nie bemüht, dieses uramerikanische Phänomen zu begreifen. Dass ich mich wundere, dass dieser Sport Football heisst, obwohl die Spieler da, soweit ich das beiläufig gesehen habe, mit dem Ball unter dem Arm und nicht am Fuss rumrennen, entlarvt mich als kompletten Football-Banausen. Dennoch kann ich, ach was: muss ich den Roman „Bis aufs Blut“ von Eli Cranor, in dem Football eine zentrale Bedeutung hat, wärmstens empfehlen. Denn Football dient hier vor allem als Katalysator und auch als Metapher.

In Denton, einer Kleinstadt in Arkansas, gehört Football zu den wichtigen, identitätsstiftenden und das Gemeinschaftsgefühl fördernden Aspekten des sozialen Lebens. Oder, wie Cranor schreibt: „Football ist in Arkansas, überhaupt in den Südstaaten, eine grosse Nummer, genau wie Religion. Er lenkt ab vom Leben im Trailerpark und vom Schmerz des Alltags.“ Für Billy, die Hauptfigur, den besten Spieler der Pirates, der lokalen High-School-Mannschaft, ist Football das Einzige, wo er sich beweisen kann. Der 18-Jährige lebt mit seiner Mutter und deren Freund in einem Trailerpark. Der Freund der Mutter misshandelt ihn seit Jahren, drückt etwa Zigaretten auf seinem Körper aus.

Trent, der neue Coach der Pirates, ist aus Kalifornien nach Arkansas gekommen. Weil er an der Westküste als Trainer gescheitert ist. Angetrieben von seiner Frau Marley soll er alles tun für den Erfolg der Pirates, damit Trent als siegreicher Coach wieder zurück in die Heimat gehen kann. Für Marley geht es darum, „zu tun, was das Beste für die Familie ist.“ Und sie weiss: Wenn sie „jemals aus Arkansas weg wollen, müssen die Pirates gewinnen, und das geht nur mit Billy“. Auch wenn Billy schon mal Mitspieler am Spielfeldrand verprügelt. Und verdächtigt wird, den Freund seiner Mutter getötet zu haben. Für Marley heiligt der – eigennützige – Zweck die Mittel.

Der Coach sieht in Billy sich selbst als jungen Spieler. Aufgewachsen in mehreren Pflegefamilien, wurde er von seinem Coach bei sich und dessen Familie aufgenommen. Hat die Tochter des Coachs geheiratet und ist selbst Coach geworden. Nun will er Billy so aus der Misere helfen, wie ihm geholfen wurde. Dass dabei Jesus helfen soll, leuchtet Billy nicht ein. „Als ich noch klein war, sind wir an Ostern mal in die Kirche. Nur alte Leute, die am Pennen waren, und vorne einer, der rumgebrüllt hat.“

Eli Cranor gibt Billy eine besonders eindringliche Stimme, indem er ihn als Icherzähler mit adäquater Sprache einsetzt (von Cornelius Hartz überzeugend ins Deutsche gebracht). Billys Kommunikationsmittel ist in erster Linie Gewalt. Die Kapitel mit den Sichtweisen der anderen Protagonisten, sind dagegen in der dritten Person gehalten.

„Bis aufs Blut“ ist ein eindrückliches Debüt. Ein düsterer Südstaaten-Noir, der konsequent durchgezogen wird. Dabei geht es um Themen wie Gewalt und toxische Männlichkeit – nicht nur im Sport. Um Armut im ruralen US-Süden. Um Familien und zu was sie die Mitglieder treiben können, ob die Verhältnisse prekär sind oder – zumindest scheinbar – geordnet. Eli Cranor hat sich mit seinem ersten Roman sogleich in die erste Liga der jüngeren amerikanischen Noir-Autoren katapultiert.

Wertung: 4,7 / 5

Eli Cranor: Bis aufs Blut
(Original: Don’t Know Tough. Soho Press, New York 2022)
Aus dem Englischen von Cornelius Hartz
Atrium Verlag, Zürich 2024. 303 Seiten, 24 Euro/ca. 33 Franken

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Bild: CrimeReads.com

Eli Cranor,

geboren 1988 in Forrest City im US-Bundestaat Arkansas, wuchs als Kind eines Lehrer-Ehepaars in der Kleinstadt Russellville im Pope County, Arkansas auf. Er spielte von der Kindheit an Football und stieg im Lauf der Jahre alle Stufen hoch bis in die Profi-Liga. Nach seiner Zeit als Profi war er während fünf Jahren High School Football Coach, bevor er sich ganz seiner Leidenschaft für die Literatur zuwandte.

Für seine Kurzgeschichten wurde er mehrfach ausgezeichnet, so für „Don’t Know Tough“ mit dem Robert Watson Literary Prize der „Greensboro Review“. Diese Erzählung bildete die Basis für seinen ersten Roman mit dem gleichen Titel, der jetzt als „Bis aufs Blut“ auf Deutsch erschienen ist. Doch dafür bekam Cranor rund zweihundert Absagen von Verlagen. Der Autor William Boyle, der von dem Manuskript begeistert war, wies Cranor auf den Wettbewerb hin, den der erfolgreiche englische Krimiautor Peter Lovesey 2018 zusammen mit dem Verlag Soho Press zum 50-jährigen Jubiläum seines Debüts „Wobble to Death“ ausschrieb. Der beste Erstling sollte nicht nur mit 10'000 Dollar, sondern vor allem auch mit einem Veröffentlichungsvertrag mit Soho Press geehrt werden. Cranor gewann. Der Roman erschien 2022 und wurde von der US-Kritik gefeiert und mit dem Edgar für das beste Debüt ausgezeichnet. Auch sein zweiter Roman „Ozark Dogs“ (2023) wurde zum Bestseller. Im Juli 2024 erscheint sein dritter Roman „Broiler“.

In der „Arkansas Democrat-Gazette“ schreibt Cranor die wöchentliche Kolumne „Where I’m Writing From“, und auf dem Kriminalliteraturportal CrimeReads veröffentlicht er regelmässig Werkstattgespräche („Shop Talk“) mit Autorinnen und Autoren. Er lebt mit seiner Frau und seinen Kindern in Russellville am Lake Dardanelle, wo er „Writer in Residence“ an der Arkansas Tech University ist.


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