Ein Attentat vor der Wahl bringt viele Stimmen

Der erste Satz
»Im vierten Jahrhundert v. d. Z., in der Zeit der Frühlings- und Herbstannalen, gab es einen berühmten Attentäter.«

Krimi der Woche ∙ N° 18/2024 ∙ Hanspeter Eggenberger

Es sind noch sieben Tage bis zur Wahl. Der amtierende Präsident von Taiwan liegt in den Umfragen 11 Prozentpunkte hinter seinem Herausforderer. Dabei gibt er im Wahlkampf alles. Hsu ist ein Mann, „der keine Hand sehen konnte, ohne sie zu schütteln“. Abgesehen von einem Tennisarm durch das viele Händeschütteln ist ihm in all den Jahren der Volksnähe nie etwas passiert. Doch jetzt, in einer schmalen Strasse, in der seine Anhänger Knallfrösche zünden, wird er angeschossen.

Er hat zwar nur eine Streifwunde am Bauch erlitten, die im Spital mit ein paar Stichen genäht wird, und schon ist er wieder im Wahlkampf. Doch das Schusswaffenattentat lässt seine Werte in die Höhe schnellen.

Alexander Li, ehemaliger Scharfschütze der Armee, inzwischen von der Polizei gesucht, ist Augenzeuge des Vorfalls. Durch eine fingierte Textnachricht war er an den Ort des Geschehens gelockt worden. Schnell hat er den Verdacht, dass er hier als Sündenbock dienen soll. Zusammen mit dem befreundeten Wu, frühpensionierter Kommissar und heute Versicherungsinspektor, macht er sich daran, den rätselhaften Ereignissen auf den Grund zu gehen.

Alex Li und Wu waren vor zwei Jahren die Protagonisten im rasanten Action-Polit-Thriller „Der grillende Killer“. Jetzt lässt der taiwanische Autor Chang Kuo-Li das unterschiedliche Duo in „Die Kugeln des Bösen“ in einem zweiten Fall auftreten. Der Roman basiert auf dem ungeklärten Attentat auf den früheren taiwanischen Präsidenten Chen Shui-Bian im Jahr 2004. Der Anschlag am Tag vor der Wahl, bei dem er am Bauch verletzt wurde sicherte ihm die Wiederwahl; später wurde der wegen Korruption abgesetzte Politiker beschuldigt, das Attentat selbst inszeniert zu haben.

Im Fall von Hsu muss selbst, Lu, der ihn unterstützende stellvertretende Polizeipräsident von Taipeh, feststellen: „Dies war kein Attentat. Es war nicht einmal eine echte Kriminalermittlung. Es war eine politische Krise, und es bestanden die besten Aussichten, dass sie seine Karriere ruinieren würde.“ Lu ist auch befreundet mit Wu, und auch sonst gibt es zwischen den involvierten Personen viele unterschiedliche Beziehungen. Auch unter diversen Scharfschützen, die sich im Lauf der Geschichte mitunter gegenüberstehen.

Der Plot ist recht komplex, aber gewürzt mit viel Ironie und schwarzem Humor. Der Autor – der ehemalige Journalist Chang Kuo-Li ist auch Linguist, Historiker, Militärexperte und Foodkritiker – lässt Fachwissen aus verschiedenen Bereichen einfliessen. Etwa zu unterschiedlichen Bedeutungen von Schriftzeichen im Chinesischen und im Japanischen, zu historischen Begebenheiten in China und Japan, zu Ausbildung und Aufgaben von Scharfschützen der Armee und immer wieder zur chinesischen Küche. Das gibt diesem Buch etwas mehr Tiefe als der Vorgänger hatte, ist oft bereichernd, manchmal erhellend, mitunter aber auch etwas langfädig und den Schwung der Geschichte bremsend. Am besten ist der Roman, wenn er zeigt, wie Politiker und ihr Umfeld funktionieren – und dabei zu einer bissigen Politsatire wird.

PS: Wie schon „Der grillende Killer“ wurde auch „Die Kugeln des Bösen“ nicht aus dem chinesischen Original, sondern aus der englischen Übersetzung ins Deutsche übertragen. Das ist schade, denn man weiss, dass solche Übersetzungs-„Staffeln“ meist zulasten von sprachlichen Finessen geht.

Wertung: 3,6 / 5

Chang Kuo-Li: Die Kugeln des Bösen
(Original: 第三顆子彈; englischer Titel: The Third Bullet. Qinghao Publishing, Taipeh, Taiwan 2024)
Aus dem Englischen von Alice Jakubeit (nach der englischsprachigen Übersetzung von Roddy Flagg)
Droemer, München 2024. 368 Seiten, 16,99 Euro/ca. 24 Franken

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Bild: Chaowei/PD

Chang Kuo-Li,

geboren 1955, war Chefredaktor von „China Times Weekly“ in der taiwanischen Hauptstadt Taipeh. Als Linguist, Historiker, Militärexperte, Sportfan, Foodkritiker sowie Dichter, Dramatiker und Romancier ist er äusserst vielseitig. Er hat mehr als dreissig Bücher veröffentlicht und ist mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden.

„Der grillende Killer“ (2022) war sein erstes Buch, das aus dem Chinesischen übersetzt wurde. Es erschien auch auf Englisch, Französisch, Russisch, Holländisch und Türkisch. „Die Kugeln des Bösen“ ist ein weiterer Politthriller um den Scharfschützen Alexander Li und den – inzwischen pensionierten – Kommissar Wu.

Chang lebt in Taiwan.


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