Angst und Schrecken in Glasgow
Der erste Satz
McCoy war kaum in der Wilson Street, da hörte er es schon.
Krimi der Woche ∙ N° 29/2025 ∙ Hanspeter Eggenberger
Auf nicht weniger als zwölf Bände hat der schottische Autor Alan Parks seine Reihe um den Glasgower Polizeidetektiv Harry McCoy angelegt, jeder Titel trägt den Namen eines Monats im Titel. Es begann 2017 mit „Bloody January“ („Blutiger Januar“, 2018), ging weiter mit „February’s Son“ („Tod im Februar“, 2019) und „Bobby March Will Live Forever“ („Bobby March forever“, 2020), alle übersetzt von Conny Lösch und erschienen bei Heyne Hardcore. Dann wurde das Hardcore-Programm von Heyne eingestampft, und die Freunde von Harry McCoy bangten um dessen Weiterleben auf Deutsch. Erfreulicherweise übernahm schliesslich der Polar Verlag die Reihe samt der vorzüglichen Übersetzerin: 2024 erschien „The April Dead“ (2021) auf Deutsch („Die April-Toten“), und jetzt liegt auch „May God Forgive“ (2022) in der Übertragung von Conny Lösch vor: „Möge Gott dir vergeben“. Durch die sehr freie Verwendung der Monatsnamen durch den Autor brachten die Titelgeber den Mai im deutschen Titel nicht unter. Beim nächsten Band „To Die in June“ (2023) sollte das wieder einfach werden; den Juli-Titel hat Alan Parks übrigens bereits in der Pipeline.
Harry McCoy hat also überlebt, obwohl ich mich schon beim ersten Band fragte, wie der Detective so lange über die Runden kommen sollte: „Dass er etwas viel trinkt – ach was: säuft wie ein Loch –, ist ja klar. Das ist in Schottland offenbar Pflicht“, schrieb ich vor fast sieben Jahren im Zürcher „Tages-Anzeiger“, „aber Harry McCoy nimmt auch Drogen: Hasch, Speed. Er ist entweder breit oder verkatert. Zwischendurch wird er spitalreif geprügelt.“ Die Frage stellt sich immer noch. In „Möge Gott dir vergeben“ kommt McCoy gerade aus dem Spital, wo er nicht wegen einer Prügelei, sondern wegen eines Magendurchbruchs mehrere Wochen verbracht und zwölf Kilo an Gewicht verloren hat. Er wäre noch ein paar Wochen krankgeschrieben, um sein blutendes Magengeschwür zu kurieren. Doch er lügt sich bei seinem Chef gesund und nimmt vorerst seine Arbeit, dann nach und nach das – von den Ärzten natürlich streng verbotene – Saufen wieder auf.
In den zehn Tagen im Mai 1974 drückt nicht nur der Dauerregen in Glasgow McCoy derart aufs Gemüt, dass er ein bisschen Betäubung braucht, sondern auch ein entsetzliches Verbrechen, das unerwartete und kaum weniger schreckliche Folgen hat. Ein Frisiersalon wurde von drei Teenagern abgefackelt. Dabei kamen mehrere Frauen und Kinder ums Leben. Die Täter sind rasch gefasst. Der Mob will sie hängen sehen. Der Gefangenentransport wird überfallen, die drei Jungen werden befreit. Dann liegt der erste von ihnen zu Tode gefoltert auf der Strasse. Bald erkennt McCoy, dass der vorgebliche Rachemord wohl eher eine Aufräumaktion der Auftraggeber des Brandes ist. Dies führt ihn die Welt der rivalisierenden Gangster in Glasgow, in die er ziemlich gute Beziehungen hat. Diese Szene in der schottischen Stadt verändert sich gerade: „Die ganzen altgedienten Gangster rissen sich ein Bein aus, um auf die legale Seite zu wechseln. Eben hatten sie noch jemandem die Nase mit einem Rasiermesser abgeschnitten, jetzt saßen sie schon beim Wohltätigkeits-Dinner in der Knights of St Columba und plauderten freundlich mit dem Erzbischof.“
„Harry McCoy ist die Sorte Cop, dem es wichtiger ist, das Richtige zu tun, als einfach Gesetze durchzusetzen“, schrieb ich 2018, und das ist immer noch so im fünften Band der Reihe (der sich übrigens problemlos lesen lässt, ohne die Vorgänger zu kennen). Auch in diesem Fall muss sich Harry McCoy weit von den Regeln von Polizei und Justiz entfernen, um so etwas wie ein bisschen Gerechtigkeit durchzusetzen. Davon erzählt Alan Parks hart und direkt, atmosphärisch dicht, aber auch mit trockenem Humor. Er setzt so die in den Siebzigerjahren durch den legendären William McIlvanney begründete Tradition des Tartan Noir, der schottischen Spielart der rabenschwarzen Kriminalliteratur, würdig fort.
Wertung: 4,2 / 5
Alan Parks: Möge Gott Dir vergeben
(Original: May God Forgive. Canongate, Edinburgh 2022)
Aus dem Englischen von Conny Lösch. Mit einem Nachwort von Marcus Müntefering
Polar Verlag, Stuttgart 2025. 421 Seiten, 26 Euro/ca. 37 Franken
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Bild: alanparks.co.uk
Alan Parks,
geboren 1963 in Johnstone, einem Vorort von Glasgow, studierte Philosophie an der Universität von Glasgow. Danach zog er nach London, wo er in der Musikindustrie – zunächst bei London Records, später bei Warner Brothers – als Creative Director arbeitete. Er war verantwortlich für Kampagnen, Albumcovers, Fotosessions und Videos für Bands wie All Saints, New Order, The Streets und Enya. Bei 679 Recordings war er Geschäftsführer, bevor er als freier Berater für Marketing und Gestaltung tätig war.
Nach zwanzig Jahren in London kaufte er sich eine Wohnung in Glasgow, um da die Wochenenden zu verbringen. Sein schottischer Freund John Niven, mit dem er bei London Records zusammenarbeitete und der inzwischen ein erfolgreicher Autor ist („Die F*ck-it-Liste“), ermunterte ihn, einen Roman zu schreiben. So entwickelte er die Idee für eine Glasgow-Krimireihe, die auf zwölf Bände angelegt ist. Als 54-Jähriger veröffentlichte er den ersten Roman „Blutiger Januar“ (2017). Er erschien 2018 auf Deutsch in der Reihe Heyne Hardcore, wo auch „Tod im Februar“ (2019) und „Bobby March forever“ (2020) folgten. Nachdem Heyne die Hardcore-Linie eingestellt hat, ist erfreulicherweise der Polar-Verlag in die Lücke gesprungen und hat 2024 den im Original schon 2021 erschienen Band „Die April-Toten“ herausgebracht, und er setzt die Reihe jetzt mit „Möge Gott Dir vergeben“ (Original: „May God Forgive“, 2022) fort. Auf Englisch ist bereits ein sechster Titel erschienen („To Die in June“, 2023), und ein siebter ist in Vorbereitung.
Alan Parks lebt in Glasgow.