Der Teufel ist hier unter uns

Der erste Satz
Ein Morgen auf der Plantage Lady of the Lake kann ein wunderbares Erlebnis sein.

Krimi der Woche ∙ N° 40/2025 ∙ Hanspeter Eggenberger

James Lee Burke ist einer der grossen Meister des amerikanischen Kriminalromans. Im nächsten Jahr wird er neunzig. Und er schreibt immer noch in hoher Kadenz Romane, die wir immer noch gerne lesen. Eben sind auf Deutsch gleich zwei neue Titel von ihm erschienen, und beide schafften es auf die Krimibestenliste für den Oktober 2025: „Clete“, im Original 2024 erschienen, ist der vierundzwanzigste Band der schon längst legendären Serie um Dave Robicheaux (wurde hier schon besprochen). In einem anderen Verlag ist praktisch gleichzeitig „Im Süden“ erschienen, ein Standalone, der im Original unter dem Titel „Flags on the Bayou“ 2023 erschienen ist und 2024 mit dem Edgar für den besten Kriminalroman ausgezeichnet wurde. (Und übrigens: In den USA sind bereits zwei weitere Titel angekündigt, einer um die weit verzweigte Holland-Sippe, der andere ist der fünfundzwanzigste Robicheaux.)

Burke baut immer gerne allerlei Bezüge in seine Romane ein, zum Beispiel mit den Namen, die er Handelnden gibt, bisweilen aber auch selbstreferenzielle. So dreht in „Clete“ eine exzentrische Schauspielerin und Produzentin einen Film, der im amerikanischen Bürgerkrieg spielt – und den Titel von Burkes vorherigem Roman trägt: „Flags on the Bayou“. Sein Buch mit diesem Originaltitel ist durchaus ein Kriminalroman, spielt aber 1863, zur Zeit des American Civil War (1861–1865), in Louisiana, und dieser Krieg mit seinen furchtbaren Schlachten, in denen Tausende von Menschen brutal niedergemetzelt wurden – rund 600'000 tote Amerikaner gab es insgesamt, mehr als in jedem anderen Krieg, an dem die USA beteiligt waren –, prägt die Geschichte.

Burke, wiewohl erst rund siebzig Jahre nach diesem Krieg geboren, hat eine direkte Beziehung zu dieser dunklen Epoche. Denn seine Vorfahren waren aktiv darin involviert: „Mein Urgrossvater nahm an Jacksons gesamtem Shenandoah-Feldzug teil und war in Gettysburg dabei, als innerhalb von vierzig Minuten 8000 Männer tot oder sterbend auf dem Cemetery Ridge lagen. Mein Vorfahr William Burke kämpfte in Shiloh und sah, wie 40 Prozent seines Regiments innerhalb von fünfzehn Minuten vernichtet wurden“, schreibt er dazu auf seiner Website. Und er, der schon mehr als vierzig Bücher veröffentlicht hat, sagt, dies sei sein bestes. Es ist thematisch vielleicht sein wichtigstes, aber die besten Robicheaux- und Holland-Titel sind keineswegs weniger gut als „Im Süden“. Denn bei ihm geht es eigentlich immer um Grundsätzliches, um Existenzielles. Um Gut und Böse. Um fundamentale Fragen des Lebens. Und des Sterbens. Das ist im neuen Roman nicht anders.

Von seinen anderen Werken unterscheidet sich „Im Süden“ durch die multiperspektivische Erzählweise. Üblicherweise haben seine Romane einen Erzähler, der meist mehr oder weniger als eine Art Alter Ego des Autors gelesen werden kann. Der Bürgerkriegskrimi dagegen beginnt mit drei Erzähler:innen, drei weitere kommen im Verlauf der Geschichte dazu. Am Anfang steht Wade Lufkin. Der Schöngeist und Maler kehrt auf die Plantage seines Onkels zurück, nachdem er im Krieg verletzt worden ist. Da fällt ihm die Schwarze Sklavin Hannah Laveau auf, zu der er sich hingezogen fühlt. Sie ist eine weitere Erzählerin. Vorher kommt aber noch Pierre Cauchon erstmals zu Wort, der wegen Hannah auf die Farm der Lufkins kommt. Er ist als Polizeibeamter für die Schwarzen zuständig, und es hat Klagen über Hannah gegeben „als sie an einen gewissen Minos Suarez am Spanish Lake außerhalb von New Iberia vermietet war“: Sie sei verrückt und würde die anderen Schwarzen aufhetzen. Hannah will vor allem ihren Jungen Samuel wieder finden, von dem sie in den Kriegswirren getrennt worden ist.

Cauchon, der sein Pferd nach der Gattin von Jefferson Davis, dem Präsidenten der Konföderierten Staaten von Amerika, Varina nennt, wird mit Schimpf und Schande vom Lufkin-Anwesen geschickt. Später, nachdem Minos Suarez ermordet worden ist, wird er nach der flüchtigen Hannah fahnden müssen. Bei der Flucht bekommt Hannah Hilfe von Florence Milton, einer Abolitionistin, die aus dem Norden in den Süden gekommen ist, um sich für die Abschaffung der Sklaverei einzusetzen. Florence wird die vierte Erzählerin. Hinzu kommt dann Colonel Carleton Hayes, ein Freischärler und übler Zeitgenosse, über den Florence sagt: „Die Ironie ist, dass meine Vorfahren so viele Irrläufer wie Carleton Hayes hervorgebracht haben. Sie verbargen ihre Wut und ihre Lust, indem sie Unschuldige belästigten und Indianer töteten, damit sie sich nicht selbst töten mussten.“

Bevor die Geschichte in die Schlusskurve geht, kommt als sechste die Schwarze Darla Babineaux als Erzählerin dazu, die auch mit dem ermordeten Suarez zu tun hatte, sich aber auf ihre Art selbst befreit hat. Sie und Cauchon werden ein ungewöhnliches Paar. Die Frauen sind in diesem Roman die starken Figuren. Und die gebildeten. Im Gegensatz zu den tumben Schlächtern sprechen sie nicht nur Englisch, sondern auch Französisch und Spanisch. Zudem erweist sich Pierre Cauchon, der von seiner Mutter gut erzogen wurde, mehr und mehr als Mensch, der durchschaut, was in Louisiana gerade passiert, und der über die Sinnlosigkeit des Krieges sinniert. „Lass dir von den Leuten erzählen, dass der Krieg großartig ist, und tadle sie nicht. Lass dir weismachen, dass das Klirren von Schwert und Sporen und das Rasseln der Ritterrüstung die Musik eines mittelalterlichen Bänkelsängers ist, und tadle sie nicht. Aber lass dir nicht einreden, dass der Krieg einen Sinn hat, sonst gehörst du zu den Verrückten, die sein Leiden von den Höhlenmenschen bis heute aufrechterhalten.“

„Seltsamerweise“ handle dieses Buch „nicht von historischen Ereignissen, sondern von heute“, schreibt James Lee Burke über „Im Süden“. Er sieht nicht, dass der Schrecken dieses Krieges die Akteure geläutert hätte. Im Gegenteil: Sie hätten den Rest des 19. Jahrhunderts damit verbracht, „die Büffel zu töten und die Indianerstämme auszuhungern, um sie zu unterwerfen“. Er sagt es zwar nicht explizit, lässt aber spüren, dass er nicht glaubt, dass sich bei den Machtmenschen bis heute grundsätzlich etwas geändert hat. Geben wir doch Hannah Laveau das abschliessende Wort zum Thema: „Der Teufel sitzt nicht in einer feurigen Grube. Er ist hier unter uns.“

Wertung: 4,5 / 5

James Lee Burke: Im Süden
(Original: Flags on the Bayou. Atlantic Monthly Press, New York 2023)
Aus dem Englischen von Alexander Wagner
btb Verlag, München 2025. 351 Seiten, 15 Euro/ca. 27 Franken

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Bild: Robert Clark

James Lee Burke,

geboren 1936 in Houston, Texas, wuchs im Grenzgebiet von Texas und Louisiana an der Golfküste der USA auf. Er studierte Literatur an der University of Louisiana in Lafayette und an der University of Missouri in Columbia.

Er veröffentlichte in den 1960er-Jahren seine ersten Bücher, die von der Kritik gelobt wurden. Nachdem sein Roman „Lay Down My Sword & Shield“ (Deutsch unter dem Titel „Zeit der Ernte“ 2017 bei Heyne) 1971 floppte, bekam er für sein viertes Buch, „The Lost Get-Back Boogie“, über hundert Absagen (nachdem es fünfzehn Jahre später doch noch erschien, wurde es für den Pulitzer-Preis nominiert), und es dauerte dreizehn Jahre, bis er sein nächstes Buch veröffentlichen konnte. Burke arbeitete derweil in verschiedenen Jobs, unter anderem als Lastwagenfahrer und als Reporter, als Sozialarbeiter in Los Angeles und in einem Arbeitsprogramm für arbeitslose Jugendliche in Kentucky. In den 1980ern lehrte er kreatives Schreiben an der Wichita State University in Kansas.

1987 startete er mit „The Neon Rain“ („Neonregen“) die Serie um Dave Robicheaux, einen Ermittler in Louisiana, die inzwischen 24 Romane umfasst, die auf Deutsch alle vom Pendragon Verlag erstmals oder neu veröffentlicht wurden. Mit Robicheaux hatte Burke erstmals grossen Erfolg, und er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Die Romanreihe erscheint fast in der ganzen Welt. Daneben gibt es die inzwischen 13 Bände umfassenden Holland-Saga (die meisten gibt es auf Deutsch bei Heyne), in denen es um verschiedene Mitglieder und Generationen der texanischen Familie Holland geht. Jetzt ist auf Deutsch auch der Standalone „Im Süden“ (btb; Original: „Flags on the Bayou“, 2023) erschienen; dafür erhielt Burke zum dritten Mal (nach 1990 und 1998) den Edgar Allen Poe Award für den besten Kriminalroman.

Mehrere weitere Werke Burkes, darunter vor allem die ganz frühen, sind nicht ins Deutsche übertragen worden. Insgesamt hat Burke bisher mehr als 40 Romane veröffentlicht. Zwei Robicheaux-Romane wurden fürs Kino verfilmt: „Heaven’s Prisoner“ (1996, Regie: Phil Joanou, mit Alec Baldwin, Kelly Lynch, Mary Stuart Masterson; deutscher Titel: „Mississippi Delta – Im Sumpf der Rache“) und „In the Electric Mist“ (2009, Regie: Bertrand Tavernier, mit Tommy Lee Jones, John Goodman, Mary Steenburgen, Ned Beatty; deutscher Titel: „Mord in Louisiana“). Der Roman „Two for Texas“ aus der Holland-Reihe wurde fürs Fernsehen verfilmt (1998, Regie: Rod Hardy, mit Kris Kristofferson).

Mit seiner Frau, Pearl Pai Chu, hate James Lee Burke vier Kinder, eine Tochter 2020 gestorben. Tochter Alafair Burke, geboren 1969, studierte Juristin, ist ebenfalls als Krimiautorin erfolgreich. Burke lebt mit seiner Frau auf einer Ranch in Lolo in der Nähe von Missoula in Montana und, wie sein Held Dave Robicheaux, in New Iberia in Louisiana. Im April 2024 wurde in New Iberia eine Bronzestatue von Burke aufgestellt.


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