Ein Agent ist nie wirklich pensioniert

Der erste Satz
Nasse Fußabdrücke auf dem verschlissenen Linoleum.

Krimi der Woche ∙ N° 50/2025 ∙ Hanspeter Eggenberger

John Antink war während dem Kalten Krieg Geheimagent, wurde später Chef des niederländischen Geheimdienstes. Inzwischen ist er längst pensioniert, doch die Vergangenheit holt ihn immer wieder mal ein – ein Agent ist nie wirklich pensioniert. Im ausgezeichneten Roman „Repair Club“, 2024 auf Deutsch erschienen, war es der lange Arm des früheren KGB-Agenten in Dresden, der heute Russland autokratisch regiert, der Antink zurück in die Sphären der geheimen Dienste zwang. Noch besser ist nun der zweite Antink-Thriller des niederländischen Autors Charles den Tex: „Trauma“ heisst der Roman im Original, auf Deutsch wird er plakativ als Fortsetzung vermarktet mit dem Titel „Repair Club – Der Countdown läuft“. Ein dritter Band wird für nächstes Jahr bereits angekündigt.

Der neue Roman beginnt, wie der erste, mit dem Repair Club, den Antink mit drei Freund:innen betreibt: An wechselnden Orten in Den Haag repariert das Quartett kostenlos kaputte Haushaltsgeräte – als Beitrag an das soziale Leben in ihrer Stadt und für die Nachhaltigkeit. Antink lebt ansonsten zurückgezogen und ist nur für die engen Freunde erreichbar. Andere, die ihn suchen, finden ihn fast nur dann, wenn er öffentlich am Reparieren ist. So auch der Mann, der ihm ein etwa zwanzig Jahre zuvor in Afghanistan entstandenes Foto einer Frau, die erschossen worden war, bringt. Zusammen mit einer rückwärts laufenden Zeitanzeige: Rund zwei Wochen gibt er Antink, um ihm den Mann zu liefern, der die Frau erschossen hat.

Antink erkennt die Situation auf dem Bild sofort. Er war damals dabei. Was da passierte, hat ihn jedoch so traumatisiert, dass seine Erinnerungen daran diffus sind. Obwohl er nicht weiss, wieso der Mann den Schützen von damals sucht und was nach Ablauf der Frist geschehen soll, macht sich Antink mit seinen Verbindungen zu den Geheimdiensten auf, den Gesuchten ausfindig zu machen. Gleichzeitig erfährt er vom einzigen Repair-Club-Mitglied, das noch im Geheimdienst aktiv ist, dass dort nach einer afghanischen Übersetzerin gesucht wird, die durch ihre Tätigkeit angeblich über niederländische Geheimdienstinformationen verfügt und sich aus dem sicheren Haus, in dem sie untergebracht war, trickreich abgesetzt hat. An Zufälle glaubt Antink nicht, aber er weiss nicht, wie die Fälle zusammenhängen. Er muss das herausfinden, bevor die Zeit abläuft. Dafür sucht er Personen persönlich auf. Er ist ein Agent alter Schule, digitale Kanäle meidet er, um möglichst wenige Spuren zu hinterlassen.

Der raffiniert geplottete und spannend erzählte Agententhriller thematisiert unter anderem das Versagen der westlichen Organisationen beim Schutz ihrer lokalen Helfer:innen beim Abzug aus Afghanistan. Und er handelt von Intrigen und Machtspielen zwischen verschiedenen Geheimdiensten, wie auch von Exponenten dieser Organisationen, die eine eigene Agenda verfolgen oder einfach nur ihren Arsch retten wollen.

Antink muss sich gleichzeitig auch mit der niederländischen Politik auseinandersetzen. Eine von der Politik geforderte Kommission soll das Versagen des Vorgehens gegen die organisierte Kriminalität im Land untersuchen – und die Innenministerin will dafür den Ex-Geheimdienstchef. Doch Antink hält nicht viel davon: „Wenn John dem Ganzen eine positive Bezeichnung gegen wollte, würde er von Träumen sprechen, von Fantasien, an die die Politik glaubt. In weniger guter Absicht bezeichnet er das Ganze als Täuschung. Lügen. (…) Als gäbe es keinen Zusammenhang zwischen der Kriminalität und dem Steuerparadies, zu dem sich die Niederlande entwickelt haben. Das ideale Land für Betrüger, um große Mengen Geld über GmbHs mit Steuervorteilen in Sicherheit zu bringen. Als gäbe es keinen Zusammenhang zwischen der Regierungspolitik und dem offensichtlich ach so gesunden Klima für die internationale Drogenmafia.“

Klassische Agententhriller wie dieser, die nicht von irgendwelchen Weltverschwörungen schwafeln, sondern sich kenntnisreich mit tatsächlichen Vorgängen auseinandersetzen und diese gekonnt in bewegende Geschichten umsetzen, sind leider selten geworden. Gut, dass es Charles den Tex gibt.

Wertung: 4,6 / 5

Charles den Tex: Repair Club – Der Countdown läuft
(Original: Trauma. HarperCollins Holland, Amsterdam 2023)
Aus dem Niederländischen von Simone Schroth
HarperCollins, Hamburg 2025. 463 Seiten, 14 Euro/ca. 21 Franken

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Bild: Dies Goorman / HarperCollins

Charles den Tex,

geboren 1952 in Camberwell, einem Vorort von Melbourne in Australien, kehrte als 6-Jähriger mit seinen holländischen Eltern zurück in die Niederlande. Sein Vater, Emile den Tex (1918–2012), war ein international bekannter Geologe und Buchautor; er forschte insbesondere in den Bereichen Petrologie und Vulkanologie, schrieb aber auch Gedichte und Kurzgeschichten.

Charles den Tex studierte in London Fotografie und Film, später arbeitete er in Paris als Englischlehrer, bevor er als Texter in einer Werbeagentur in Amsterdam tätig war. 1989 begann er als Kommunikationsberater zu arbeiten.

Seinen ersten Roman „Dump“ publizierte den Tex 1995, sein zweiter Roman „Claim“ (1996) wurde 2001 verfilmt. Der Roman „De macht van meneer Miller“ (2005; Deutsch: “Die Macht des Mr. Miller”, 2007, Grafit) war die Vorlage für ein vierteilige TV-Serie (2010). 2013 wurde auch sein Roman „Cel“ (2008; Deutsch: “Die Zelle”, 2010, Grafit) als TV-Serie verfilmt. Insgesamt hat er bisher rund zwei Dutzend Bücher veröffentlicht, mehrheitlich Kriminalromane, und er wurde für sein Werk mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Mehrere Bücher wurden übersetzt ins Französische, Italienische, Türkische und Deutsche. Er hat zudem mehrere Theaterstücke aus dem Englischen ins Niederländische übersetzt.

Charles den Tex lebt in Bronckhorst, einer kleinen Stadt, die aus mehreren kleinen Gemeinden besteht, in der niederländischen Provinz Gelderland.


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Zwei Fäuste und kein Blatt vor dem Mund