Waffen, Korruption, Drogen in Berlin – und zwei einsame Seelen

Der erste Satz
Nihal wacht auf, bevor Jamie es geschafft hat, mit seinem Schlüssel das Schloss zu finden.

Krimi der Woche ∙ N° 18/2023 ∙ Hanspeter Eggenberger

Saad schiebt Nachtschicht in einem heruntergekommenen Berliner Parkhaus. Als eines Nachts zwei Männer auftauchen, ist im sogleich klar: Das sind Killer. Er täuscht sich aber darin, auf wen sie es abgesehen haben. Er denkt, auf ihn. Denn er gibt sich zwar als syrischer Flüchtling aus, doch er kommt aus Marseille, wo er im Drogengeschäft war und nach einem schief gelaufenen Riesendeal schnell verschwinden musste. In Berlin lebt er nun unter dem Radar und versucht, seiner kleinen Tochter Leila ein sicheres Leben zu bieten. Leilas Mutter ist beim Debakel in Marseille getötet worden.

Doch die beiden Killer haben es auf Brasch abgesehen, einen Staatsekretär, der in illegale Waffengeschäfte verwickelt ist. Und dessen BMW in Saads Parkhaus steht. Das weiss Saad nicht, der den einen Killer in der Eile ausgerechnet in Braschs Kofferraum zwischenlagert. Zugekokst bis unter die Kiemen schrammt Brasch kurz darauf mit dem BMW einen Streifenwagen. Die Polizei findet die Leiche des Killers im Kofferraum.

Es geht turbulent zu und her im Berlin-Thriller „Die Guten und die Toten“ von Kim Koplin (ein Pseudonym). Neben Saad und den Killern und Brasch und den Waffenhändlern gibt es auch noch Mohammed, der auf dem Parkhausdach eine Hanfplantage betreibt. Eine junge Journalistin, die dem Waffendeal nachspürt. Und Nihal, die Kriminalpolizistin, deren Bruder mit ihrer Dienstwaffe eine Tankstelle überfällt. Dass Nihal ihn dafür verhaftet, findet ihr Vater schlimmer als den Überfall.

Nihal ist neben Saad die zweite Hauptfigur in diesem rasanten Kriminalroman. Nur 250 Seiten braucht Koplin für die nicht unkomplexe Geschichte mit diversen Verästelungen. Da ist alles präzis auf den Punkt erzählt, aber so, dass immer noch Raum bleibt für allerlei Seitenhiebe mit trockenem Humor. Und für ein Bild von Berlin, wie wir es bislang höchstens aus den Kriminalromanen von Johannes Groschupf kennen. Und alles in ungeschminkter Sprache. „Ausser einem spätnächtlichen Testosteronschlitten, der draussen über das Strassenpflaster nagelt, ist nur das in unregelmässigen Abständen wiederkehrende Ping zu hören, wann immer die Neonröhre einen neuen Belebungsversuch unternimmt.“

So schnell, hart, actionreich und durchaus auch witzig der Krimi ist, er hat auch Tiefgang und punktet mit Empathie für die beiden Protagonisten. Saad, der Ex-Kriminelle aus Marseille mit Wurzeln im arabischen Raum, und Nihal, die Berliner Polizistin mit aserbeidschanischen Wurzeln, sind beide einsame Seelen. Ihre Geschichten und die Anziehung, die zwischen den beiden besteht, sind für mich die eigentliche Geschichte dieses Romans. Auch wenn Koplin da schon mal nur knapp an Kitsch und Klischee vorbeischrammt.

Saad hat seine Tochter Leila, für die er alles tun würde. Aber sonst niemanden, keine Freunde. „Ist schwer manchmal, alleine klarzukommen, immer. Wie ein dunkler, langsam wachsender Tumor an einem schwer lokalisierbaren Ort.“ Nihal hat ein Problem mit ihrer „Affektkontrolle“, und sie kann hart zulangen, sie hält sich fit und boxt auch. Wenn aber Gefühle, die sie schon mal als „kosmische Scheisse“ abtut, im Spiel sind, bekommt sie Probleme und sucht schon mal das Weite. „Stellt sich die Frage, wovor sie in Wahrheit weggelaufen ist, und da wird die Luft schnell sehr dünn, denn egal, wie sie es dreht und wendet, nichts und niemand macht Nihal so viel Angst, dass sie davor weglaufen würde. Einzige Ausnahme: die eigenen Gefühle.“

Auch wenn es zwischendurch fast ein bisschen romantisch wird, gibt es einen grotesk-blutigen Showdown auf dem Parkhausdach, in dem neben dem bekannten Personal auch Leichen, rivalisierende Killer und eine Motorsäge eine Rolle spielen.

Wertung: 4,5 / 5

Kim Koplin: Die Guten und die Toten
Suhrkamp, Berlin 2023. 255 Seiten, 16 Euro/ca. 24 Franken

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Kim Koplin

ist ein Pseudonym. Laut dem Verlag lebt sie/er in Berlin, Frankreich und Italien und hat „schon mehrere erfolgreiche Bücher geschrieben“.


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