„Das Böse ist selten kompliziert. Es ist einfach nur beschissen dreist“

Der erste Satz
Charon County wurde aus Blut und Dunkelheit erschaffen.

Krimi der Woche ∙ N° 51/2023 ∙ Hanspeter Eggenberger

Schiessereien an Schulen sind in den Vereinigten Staaten von Amerika ja keine Seltenheit. Doch nicht hier, nicht bei uns, denken die Menschen im Charon County an der Ostküste in Virginia. Es ist offenbar auch nicht ein klassischer Amokläufer, der mit Schüssen an der lokalen Schule die Gemeinde in Angst und Schrecken versetzt. Einen Lehrer hat der junge Schwarze erschossen, bevor er durch die Kugeln der herbeigeeilten Deputys niedergestreckt wird. Dass es sich beim Opfer um den beliebtesten Lehrer der Schule handelt, irritiert auch jene afroamerikanischen Bürger, die überzeugt sind, dass der Täter sofort erschossen wurde, weil er Schwarz ist. Doch die Ermittlungen des Sheriffs zeigen, dass der vermeintlich vorbildliche Lehrer in perverse Morde verwickelt war.

Für Sheriff Titus Crown, selbst Afroamerikaner, ist es nichts Neues, dass er von Schwarzen ebenso angefeindet wird wie von rassistischen Rednecks. „In dem Augenblick, als er seine Kandidatur (Anm.: für das Amt des Sheriffs) ankündigte, hatte er sich dafür entschieden, in einem Niemandsland zu leben – zwischen Menschen, die an ihn glaubten, Menschen, die ihn wegen seiner Hautfarbe hassten, und Menschen, die ihn für einen Verräter seiner Rasse hielten.“

Titus Crown, ehemaliger FBI-Agent, der in seine Heimat zurückgekehrt ist und in der Kleinstadt vor einem Jahr zum Sheriff gewählt wurde, ist der Protagonist des neuen Romans von S. A. Cosby, „Der letzte Wolf“ („All the Sinners Bleed“), der sich mit seinen ersten drei Romanen in die erste Reihe der amerikanischen Noir-Autoren geschrieben hat. Es ist der erste „Police procedural“, also Polizeiroman, des Afroamerikaners aus Virginia. In seinem Debüt „My Darkest Prayer“, das erst in diesem Jahr auch auf Deutsch erschienen ist, wird ein Bestatter zum Ermittler, in „Blacktop Wasteland“ begleiten wir einen afroamerikanischen Fluchtfahrer, und in „Die Rache der Väter“ („Razorblade Tears“) rächen zwei Väter ihre getöteten Söhne, die ein Paar waren.

Wie die Vorgänger überzeugt auch „Der letzte Wolf“ mit einem komplexen Plot und durch die virtuose Erzählkunst. Rassismus ist auch hier das zentrale Thema, aber bei weitem nicht das einzige. Denn das Böse ist in erster Linie keine Frage der Rasse. Oder, wie Titus Crown einmal nüchtern feststellt: „Das Böse ist selten kompliziert. Es ist einfach nur beschissen dreist.“

Cosby, der selbst in einer Kleinstadt in Virginia lebt, beschreibt zudem eindrücklich den Alltag und das Leben in einem solchen Ort. Da gibt es grossmäulige Rassisten, bigotte Prediger, alte Familien, die die lokale Wirtschaft und die Verwaltung in festem Griff haben, aber auch afroamerikanische Aktivisten, die für die Unterstützung von Crown bei der Sheriff-Wahl nun Gegenleistungen nicht nur erwarten, sondern auch einfordern. Etwa in Zusammenhang mit einer Konföderierten-Parade, bei der eine Konfrontation zwischen den Rassisten und ihren Gegnern droht. „In seinem Kopf war ihm klar, dass es 2017 war, dass der vierzehnte Verfassungszusatz vor über hundert Jahren verabschiedet worden war, und dass, auch wenn der Rassismus quicklebendig war, er als Sheriff jeden, ob weiss oder schwarz, verhaften würde, der über die Stränge schlug.“

Trotz klaren Worten zu grundsätzlichen Fragen droht „Der letzte Wolf“ nie zum Traktat zu werden. Von Anfang bis Ende ist es eine brillant erzählte, durchgehend spannende Geschichte, die durch die scharfe Beobachtung gesellschaftlicher und auch politischer Zustände zusätzlich pikant gewürzt wird. Ein weiteres Meisterwerk von Cosby.

Wertung: 4,6 / 5

S. A. Cosby: Der letzte Wolf
(Original: All the Sinners Bleed. Flatiron Books, New York 2023)
Aus dem Englischen von Jürgen Bürger
Ars Vivendi, Cadolzburg 2023. 383 Seiten, 24 Euro/ca. 35 Franken

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Bild: Sam Sauter

S. (Shawn) A. Cosby,

geboren 1973, ist in der ländlichen Region an den Ufern der Chesapeake Bay im Südosten des US-Bundestaats Virginia in einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Schon in seinen Jugendjahren wollte er Schriftsteller werden. Seine Mutter ermunterte ihn, als Übung Romane umzuschreiben, deren Ende er nicht mochte. Er stürzte sich dafür aufs Horror-Genre und wollte, wie er in einem Interview sagte, „ein afroamerikanischer Stephen King“ werden. Durch einen Onkel stiess er schon früh auf Kriminalliteratur, etwa von John D. MacDonald und Mickey Spillane.

Er studierte Englische Literatur an der Christopher Newport University in Newport News, Virginia, brach das Studium aber ab, um sich um seine erkrankte Mutter zu kümmern. Er arbeitete unter anderem als Gabelstapelfahrer, Landschaftsgärtner, Roadie, Bauarbeiter und Türsteher.

In einem kleinen Verlag veröffentlichte er 2019 sein Kriminalromandebüt „My Darkest Prayer“, das nach dem Erfolg des nächsten Romans von einem grösseren Verlag neu herausgegeben wurde und inzwischen auch auf Deutsch vorliegt. Der Durchbruch kam 2020 nach dem renommierten Anthony Award für die Kurzgeschichte „The Grass Beneath My Feet“ mit dem Roman „Blacktop Wasteland“, der von der Kritik begeistert aufgenommen wurde und unter dem gleichen Titel auch auf Deutsch erschienen ist. Eine kleine Produktionsfirma hat die Filmrechte gekauft. Für den nächsten Roman Cosbys, „Razorblade Tears“, der unter dem Titel „Die Rache der Väter“ auf Deutsch erschienen ist, hat sich das Hollywood-Studio Paramount die Rechte gesichert; Jerry Bruckheimer und Chad Oman werden den Film produzieren. „All the Sinners Bleed“ („Der letzte Wolf“) ist sein vierter Roman.

S. A. Cosby ist verheiratet mit Kimberley Redmond, die in Shacklefords, Virginia, das Bestattungsinstitut J. K. Redmond Funeral Home führt, das sie von ihrem Vater übernommen hat. Cosby hilft da als Bestatter aus; auf der Website wird er nach wie vor als Mitarbeiter geführt. Das Paar lebt in Gloucester, Virginia.


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